Uhrenexporte nach China brechen ein
Schweizer Uhren verkaufen sich weniger gut als auch schon – was ist der Grund?
Andrea Martel, Genf
In der Schweizer Uhrenindustrie dominieren derzeit die Minuszeichen. Seit Februar liegen die Exporte spürbar unter dem Vorjahresniveau. In den ersten sieben Monaten des Jahres exportierte die Branche Uhren und Werke im Wert von insgesamt 15,2 Milliarden Franken, was einem Rückgang von 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht. Steckt die Uhrenbranche in einer Krise?
Eine Gelegenheit, den Puls der Branche zu fühlen, gab es jetzt in Genf, wo bis diesen Montagabend die Uhrenmesse Geneva Watch Days stattfindet. Für Georges Kern, CEO der Uhrenmarke Breitling, ist der Fall klar: «Mindestens 50 Prozent des Exportrückgangs haben nichts mit einer Krise zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine Normalisierung der Situation.»
Kern verweist darauf, dass die Konsumenten in der Pandemie überdurchschnittlich viel für Uhren ausgaben, weil sie nicht reisen konnten. Für den Rest des Rückgangs sind laut Kern die hohen Zinsen und geopolitische Konflikte verantwortlich, die das Konsumklima belasten. «Wir leiden auf hohem Niveau», hält er fest.
Auch der Bulgari-Chef Jean-Christophe Babin betont: Ein Minus von 2,4 Prozent sei kein Grund zur Besorgnis. Die Kunden überlegten länger vor einem Kauf, entschieden sich dann aber oft für höherpreisige Produkte. Die gute Entwicklung an den Börsen stütze die Konsumlust bei den wohlhabenden Käufern.
Das Problem ist laut Babin nicht die Uhrenindustrie, sondern China. Wegen der geplatzten Immobilienblase geht es dort sowohl der Realwirtschaft als auch den Aktienmärkten schlecht. Während die Börsen weltweit in den vergangenen drei Jahren deutlich zugelegt haben, verlor der Leitindex in Schanghai 20 Prozent.
Dies verunsichere die dortigen Konsumenten erheblich, sagt Babin: «In der westlichen Welt sind wir das Auf und Ab der Börsen und Immobilienmärkte gewohnt. Junge Chinesen, die typischen Käufer westlicher Luxusartikel, erleben aber derzeit erstmals, dass es wirtschaftlich bergab geht.»
Anderswo läuft das Geschäft
Die Verunsicherung in China zeigt sich eins zu eins in den Statistiken. Laut der Fédération Horlogère sind die Exporte nach Festlandchina und Hongkong seit Jahresbeginn um rund 20 Prozent eingebrochen. Weil es sich um den zweit- und den drittgrössten Markt handelt, zieht dies die gesamte Statistik ins Minus.
Fast überall sonst auf der Welt steigt die Nachfrage nach Schweizer Uhren. Besonders starke Zuwächse verzeichnen Mexiko (+20 Prozent von Januar bis Juli 2024), Südkorea (+12 Prozent), Indien (+20 Prozent) oder Japan (+11 Prozent), wobei in Japan der Boom trotz schwachem Yen zustande kam.
Besonders relevant: Auch die USA, der wichtigste Exportmarkt für Schweizer Uhren, entwickeln sich weiterhin positiv (+5 Prozent). Laut dem Breitling-CEO Kern ist dieser Markt noch längst nicht gesättigt: Gut mit Ladengeschäften erschlossen seien bis jetzt vor allem die Ost- und die Westküste. Dazwischen – von Texas über Tennessee bis Ohio – gebe es noch viel Potenzial.
Besonders leiden derzeit jene Uhrenmarken, die in China stark engagiert sind. Dazu gehören etliche prominente Namen aus den Markenportfolios von Richemont, LVMH und der Swatch Group. Ihr China-Umsatz ist laut Brancheninsidern teilweise um mehr als 50 Prozent eingebrochen, also deutlich stärker als die Exporte.
Das Problem dieser Marken liegt darin, dass sie ihr China-Geschäft in den vergangenen Jahren teilweise übermässig forcierten, weil sie die Nachfrage überschätzten. Während der Boomjahre waren Uhren von Rolex, Patek Philippe oder Audemars Piguet teilweise kaum erhältlich, so dass einige Kunden auf andere Marken auswichen. Nun, da sich die Wartefristen bei den Top 3 reduziert haben, fällt ein Teil dieser Kunden weg.
Existenzielle Sorgen müssen sich diese Marken jedoch nicht machen. Sie gehören finanzkräftigen Gruppen an und können eine Flaute gut durchstehen. Von Entlassungen und anderen drastischen Personalmassnahmen ist denn bei den Uhrenmarken auch kaum die Rede. Kleinere Marken haben teilweise Kurzarbeit eingeführt, wie in Genf zu erfahren war. Zudem würden befristete Arbeitsverträge nicht erneuert. Diese sind in der Uhrenbranche weit verbreitet.
Zulieferer leiden am stärksten
Problematisch ist die Situation vor allem für die Zulieferer, denn nicht alle Marken behandeln ihre Partner so gut wie Rolex. Branchenvertreter erzählen von Marken grosser Gruppen, die ihre Aufträge von heute auf morgen stoppten und per Telefon nicht mehr erreichbar seien. Dabei handelt es sich um die gleichen Marken, die ihre Zulieferer vor einigen Monaten noch beknieten, ihre Kapazitäten auszuweiten.
Aber selbst bei den Zulieferern gilt: Die derzeitige Situation ist nicht aussergewöhnlich. Das Auf und Ab gehört bei der Uhrenindustrie dazu, das weiss jeder in der Branche. Und: Es ist grösstenteils hausgemacht. Branchenvertreter geben es im privaten Gespräch auch offen zu: «Wir lernen nie. Jedes Mal, wenn es gut läuft, produzieren wir auf Hochtouren und bauen unsere Kapazitäten aus. Und sobald es kehrt, fängt das Jammern an.»
Ein unangenehmes Déjà-vu löst etwas anderes aus: Vertreter von Uhrenmarken berichten, dass sie derzeit wieder von Graumarkthändlern kontaktiert würden, die fragten, ob sie «überschüssige Ware» hätten. Diese Händler erhalten die Uhren für einen Bruchteil des Preises und verkaufen sie dann mit guter Marge, aber weit unter dem normalen Ladenpreis an Endkonsumenten.
Ob diese Graumarktspezialisten nur bluffen, wenn sie sagen, sie seien ausser mit zehn Herstellern mit sämtlichen grösseren Uhrenmarken im Geschäft, ist schwer abschätzbar. Sicher ist, dass der Graumarkt bei Produkten, bei denen der Konsument vor allem auch den Wert der Marke zahlt, schädlich ist. Luxusmarken, die nicht preisstabil sind, verlieren an Attraktivität. Offenbar wird wieder einmal ein langfristiger Schaden in Kauf genommen, um kurzfristig die Zahlen zu verbessern.
Das ist umso bedauerlicher, als die Zukunft der Schweizer Uhrenbranche keineswegs düster ist. Bereits im Juli lagen die Exporte wieder mit 1,6 Prozent im Plus. Schwächere Vergleichszahlen des Vorjahres tragen dazu bei, aber positiv ist das trotzdem. «Ich bin hundertprozentig überzeugt davon, dass sich der Markt wieder erholt», sagt Georges Kern. Denn der Markt für Luxusgüter sei langfristig ein Wachstumsmarkt. «Sonst wäre ich schon lang ein einer anderen Branche.»
Aus dem E-Paper der NZZ vom 02.09.2024
Gruss
Christian