oder Chronometer im Alltag II (
Chronometer im Alltag ).
Präzision ist ein Kennzeichen unserer modernen Gesellschaft und der Stolz vieler Uhrenbesitzer.
Im alltäglichen Umgang mit der Präzision entlarft man sehr schnell den Schwachpunkt aller Präzision: Restaurant-Bedienstete.
Aber von Anfang an:
Zwecks Grünkohlverkostung der Forumsmitglieder auf dem legendären Advents-Treffen des Forums kam mir ob der Menschenmassen des Dortmunder Weihnachtsmarktes in den Sinn, dass es zwecks Durchführung des Vorhabens enorm dienlich wäre, wenn ich einen entsprechenden Teil der angepeilten Lokalität für uns reservieren lasse.
Nach dem Betreten des Etablissements steuere ich auf direktem Wege zum Empfang und trage dort mein Anliegen vor. Der nicht sehr freundliche Herr dort verweist mich an zwei Damen, welche ich am anderen Ende des Lokals finden werde. Ich ignoriere den Affen im Regenmantel auf meiner Schulter, betätige den Start-Drücker meines Chronographen und begebe mich auf die Suche. Und tatsächlich finde ich zwei Damen, die damit beschäftigt sind, eine offensichtlich defekte oder unpräzise Datenerfassungsmaschine anzustarren und sich gegenseitig ihre Unfähigkeit zur Korrektur zu attestieren. Da sie dabei wild mit ihren Schreibgeräten fuchteln, halte ich genügend Sicherheitsabstand und ziehe die Aufmerksamkeit mit den Worten
"Ich weiß nicht, wer von Ihnen gewinnt, daher bin ich wohl gezwungen, sie Beide zu belästigen" auf mich. Ich trage wieder mein Anliegen vor und bekomme von der etwas kräftigeren (vermutlich die spätere Siegerin) die Antwort, dass ich mich zu diesem Zweck ans andere Ende des Lokals begeben muss (ja genau, dort kam ich ja grade her) und am Baum beim Reservierungsbuch am Ziel meiner Wünsche bin.
Lieber Himmel, ein Baumwuchs im Lokal markiert das Ziel meiner Wünsche. Mich beschleicht das Gefühl, dass hier keine Klarheit über meine Wünsche vorliegt und begebe mich mit gemischten Gefühlen auf den Weg. Dort kommen mir Personen entgegen, die noch auf dem Weg zu den marodierenden Damen sind. Ich genieße einen kurzen Augenblick meinen Vorsprung und halte Ausschau nach einem Baum. Und wirklich taucht nach ein paar Metern in der Ferne ein Gebilde aus Holz, Cartapesta und Farbe auf, welches ich Dank intensiven Trainings aufgrund der Deutung von Objekten, die im Rahmen der Schulbasteleien eines 9-Jährigen entstanden sind, als baumähnliches Konstrukt identifiziere.
Bei meiner Ankunft stelle ich fest, dass sich dort tatsächlich ein Reservierungsbuch befindet. Aber wo ist der Buchführer? Ich beziehe also in der Verantwortung der mir übertragenen Mission strategisch Stellung und übe mich in Geduld.
Nach dem einige livrierte Personen an mir mit der gebotetenen Ignoranz vorbeigezogen sind und mein Affe im Regenmantel unerträglich kreischt und lacht, spreche ich dreisterweise die Person, mit der ich den Erstkontakt aufgenommen hatte mit der Frage
"Darf ich IHNEN etwas bringen?" an. Dieses Beispiel für unsere PISA-Studienergebnisse reagiert programmgemäß; worauf ich ihm klar mache, dass ich eine Mission zu erfüllen habe und, mit Hinweis auf meinen laufenden Chrono, ich noch vor "Licht aus" wieder in meiner Anstaltszelle sein muss. Das hilft. Er bewegt sich (meinem optischen Eindruck nach in Zeitlupe, was aber wohl eine durch die Adrenalinkonzentration hervorgerufene Täuschung sein kann) in meine Richtung und fragt nach der Uhrzeit der gewünschten Reservierung. Ich entgegne:
"18.02h". Er notiert dies ob meiner vorherigen Ausführungen widerspruchslos und fragt, ob eine Reservierung bis 21.00h genügt. Ich mache ihm unmissverständlich klar, dass die Verkostung einer gewissen Gruppendynamik unterliegt, deren zeitlicher Verlauf nur schwer vorhersehbar ist und bestehe auf 21.04h. Er scheint, dokumentiert durch eine schreibende Handlung, meinen Ausführungen erstaunlicherweise folgen zu können und fragt nach dem Namen für die Reservierung. Ich gebe
"Helmut Sinn" an und bin im Grunde nicht erstaunt über jegliche fehlende Reaktion des Erstaunens meines Gegenübers. Hätte ich jetzt Hans Wilsdorf... nein, schlechtes Beispiel. Hätte ich also Fritz Casio angegeben, wäre wohl eine VIP-Reservierung zustande gekommen. So aber verlasse ich nach dem affirmativen Grunzen des Schreibenden und dem Betätigen des Stopp-Drückers meines Chronographen die gastliche Stätte.
Vor der Tür erwartet mich ein Forumskollege mit den Worten:
"was hat den solange gedauert?"
Meine Antwort war:
"mangelnde Präzision."