Wie ich im »welche Uhr tragt Ihr heute«-Thread schon offenbart habe, nutzte ich das lange Wochenende für einen Kurztrip nach Luzern.
(Gelesen habe übrigens, dass Luzern eine der Städte mit den meisten Uhrenkäufen weltweit ist. Nach Menge und Wert.
»Schuld« daran sind maßgeblich auch chinesische Reisegruppen, die als solche (der Führer bekommt Provision von den Wucherers dieser Welt) in einem der gefühlt 100 Uhrengeschäfte einfallen und nicht ohne Schweizer Luxusprodukt weiterreisen.)
Nun, man kann man auch ohne einen Besuch bei Ochs und Junior nach Luzern fahren.
Sollte man aber nicht.
Ochs und Junior beeindrucken mich durch tolle Uhren und Konstruktionen sowie durch ein absolut und außergewöhnlich stimmiges und durchgängiges Konzept.
Mein Besuch dort hat das mehr als bestätigt.
Dieser fand übrigens am Feiertag statt; ich war trotzdem willkommen, obwohl ich klar gemacht hatte, dass ich an diesem Tag nichts kaufen werde (die Betonung liegt auf „an diesem Tag“;-)).
Wie viele Firmen hat Ochs und Junior vier Abteilungen: Entwicklung, Produktion, Marketing und Vertrieb und IT.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Unternehmen ist Ochs und Junior jedoch recht klein. Jede der o. g. »Abteilungen« hat genau einen Mitarbeiter.
Und das war’s.
Beat Weinmann, Mitinhaber und für Marketing und Vertrieb verantwortlich, empfing mich, die Produktion und die IT (webshop) waren auch besetzt.
Fast wäre ich trotz Google Maps vorbei gelaufen - natürlich gibt es keinen Schriftzug am Laden. Aber Uhren im Schaufenster.
Neben dem schicken, loftartigen Interieur fiel mir beim obligatorischen Espresso auf, dass auch ein Foto-Studio integriert ist. Da die Uhren nur in Luzern oder via Internet gekauft werden können, kommt den Fotos eine große Bedeutung zu; das will man nicht fremdvergeben.
Ich wurde etwas rumgeführt und wir plauderten über das Konzept und den Uhrenmarkt als solches. Außerplanmäßig sprachen wir dann ausführlich über zwei Neuerscheinungen (s. u.) bevor wir uns intensiv mit der Mondphasenuhr, dem Objekt meiner Begierde, unterhielten.
Anhand von losen Bauteilen wurde die Funktion erläutert und über die verschiedensten Designvariationen philosophiert.
Das Konzept von Ochs und Junior basiert klar auf dem Erfindergeist von Ludwig Öchslin, dem wohl bedeutendsten Uhrmacher unserer Zeit (der »R&D-Abteilung«). Alles dreht sich um seine Erfindungen und seine Art Uhren zu konstruieren.
So kommt die Mondphasenuhr mit gerade mal fünf Teilen (plus ein banales Basis-2824) aus und gehört mit knapp 3500 Jahren Genauigkeit (Details kann man viel besser auf der Ochs und Junior Homepage nachlesen) zu den genauesten überhaupt.
Aus Markennamen wird (fast) vollständig verzichtet, die Uhren sehen sehr einfach und reduziert aus.
Sind sie ja auch, aber nur im positiven Sinne.
Auch das Gehäuse: es ist nur zweiteilig und kommt durch die sehr genaue, prototypen-artige Produktion (keine 200 Uhren p. a.) ohne Werkhalterung aus. Auch die auf den ersten Blick simplen Bandanstöße sind einfach clever: nahe am Gehäuse, die Uhr trägt sich super. Man fragt sich, wer auf die Schnapsidee von abstehenden Bandanstößen kam …
Ich merke schon, um das einfache aber doch komplexe Konzept darzustellen, müsste ich viel mehr Aufwand in diese Grobvorstellung stecken und außerdem möchte ich ja keine Werbung machen.
Daher beschränke ich mich auf einen, wesentlichen, Aspekt: den Preis.
Während der »Führung« fiel mir die Uhr am Arm von Hr. Weinmann auf, die ich noch nicht kannte. Tatsächlich war es eine Neuentwicklung, die er mit freimütig zeigte. Sogar Fotos hätte ich machen dürfen, aber mit der Bitte, diese nicht zu veröffentlichen …
Ein ewiger Kalender mit Gangreserve (hier ist das Basiswerk von Ulysses Nardin)!
Eine Komplikation, die man selten in die Hand bekommt, und dann auch nur s
ehr vorsichtig.
An der Variante von Ochs und Junior kann nach Herzenslust rumgeschraubt werden, da passiert nix. Nicht mal eine Bedienungsanleitung gibt es für diese Uhr!
Abseits einer Diskussion, ob der Preis (>20k) für das gebotene angemessen ist, eine Sache ist bemerkenswert.
Völlig im Gegensatz zum Rest der Uhrenindustrie wird nicht mit Kompliziertheit („xyz Komponenten“) hausieren gegangen.
Im Gegenteil, man kokettiert mit der Einfachheit, die hier zum Wert wird.
Man zahlt nicht für die Anzahl der Teile, nicht einmal für den stunden- oder gar tagelangen Zusammenbau durch Experten in lichtdurchfluteten Produktionsbereichen, sondern kokettiert mit der Einfachheit.
Die Uhr wird von der Uhrmacherin in 24 Minuten im »Ladengeschäft« zusammengebaut. Zum Launch wird es ein umgeschnittenes Video darüber geben, um das nicht zu verstecken, sondern deutlich zu machen.
Anders ausgedrückt: die Genialität, die Entwicklungskosten werden bezahlt, nicht Produktionskosten, die nicht notwendigerweise wertschöpfend sein müssen.
Preis und Kosten werden entkoppelt, der Preis richtet sich am Wert.
Und ein Marktvergleich zeigt, das diese Uhren ihren Preis wert sind.
Irgendwie habe ich jetzt doch Werbung gemacht.
Daher zum Abschluss etwas Wasser in den Wein:
Da es sich um Einzelanfertigungen/Kleinstserien handelt sieht nach meinem Eindruck nicht jede Uhr gleich aus, selbst wenn gleiche Teile/Farben o. ä. gewählt wurden. Das kann auch mal nicht gewünscht sein.
Und die Schließe ist innovativ und funktional, aber imho nicht so wertig wie der Rest.
Ach ja, das Armband aus Störleder habe ich auch am Arm gehabt. Wird nicht jedem gefallen, Patina muss man mögen.
Ich fand es sensationell. Und will es haben …
Zum Abschluss: nicht ohne (berechtigten wie ich meine) Stolz teile Hr. Weinmann mit, dass Ochs und Junior, obwohl noch jung, bereits seit einiger Zeit profitabel arbeitet.
Headquarter, Produktion, Verkauf:
Espresso:
Produktionsabteilung (Detail):
Mondphasenuhr in einer Version ohne jede Lackierung (Metall, patiniert und gefräst)
vom mobilen Gerät gesendet