Aufgrund einer Familienfeier kam es am Samstag wieder mal zu einer zwangsgesteuerten Zusammenkunft der Herde. Die emotionale Insel des einzigen "Mechanik-Demagogen" offenbarte sich in Form einer stilistischen Scheußlichkeit eines elektronischen Zeitanzeige-Gerätes aus der Fertigung in Billiglohn-Gebieten von zwei homosexuellen Designern mit den Anfangsbuchstaben D & G, welches mit einem massigen Armband aus geprägtem Blech das nicht minder massige Handgelenk einer anwesenden Tante meiner Partnerin umschloss wie eine mittelalterliche Handfessel.
Soweit hätte ich dies ja noch durch die Berliner Art (gar nicht erst ignorieren) überstehen können. Ich hatte den körperlichen Schmerz beim Anblick dieser Netzhautbeleidigung im Griff und auch mein Verstand konnte die emotionale Irritation bewältigen und gebot Schweigen. Aber das Unheil nahm mit der Bemerkung eines weiteren anwesenden Verwandten, der beim Anblick auf diese schonungslose Fratze menschlicher Perversion unbedingt die Frage stellen musste:
"Ist die echt?" seinen unabdingbaren Verlauf.
Meine sofortige Reaktion wurde nur von dem Blick meiner Partnerin gebremst, der eine Mischung aus Panik, Mitleid und "denk an die Folgen" in meine Richtung sandte.
Während die Tante also ob dieses Rettungsversuches zu der Antwort kam, dass es sich um eine Fälschung handelt, kämpfte ich mit einem dieser Erstickungsanfälle, die mich immer dann heimsuchen, wenn ich versuche, mich zurück zu halten.
Als ich jedoch merkte, dass meine Lippen blau angelaufen waren und der Blick sich bereits trübte, schoss die Frage wie ein explosionsartig entleerender Mageninhalt in den Raum: "
Was macht das für einen Unterschied?"
In die nun folgende Stille wurde dominiert von den fragenden Augenpaaren der im Raum anwesenden (meine Partnerin hatte sich in weiser Voraussicht der kommenden Ereignisse entfernt -ich glaubte zu diesem Zeitpunkt, sie wäre bereits am Flughafen auf dem Weg in ein Land ohne Auslieferungsabkommen) Personen, die den Eindruck vermittelten, ich habe japanisch gesprochen. Wobei ich mir nicht sicher war, ob ich dies tatsächlich getan hatte. Also habe ich (um die Situation zu retten und ein Happy-End herbeizuführen) schnell die Erklärung nachgeschoben, dass es sich bei dem Original ja wohl auch um ein Billigprodukt ohne wirkliche Qualität handelt, welches den gleichen Materialwert wie die Kopie (ich sagte nicht "Fälschung") handelt und die Tante daher sehr günstig eingekauft habe, da sie höchstens einen Bruchteil des Originals bezahlt habe.
Anstatt nun eine gewisse Begeisterung für meine glaubwürdige Behelfswahrheit zu entwickeln, reagierte der immer noch empörte Mob nun gar nicht wunschgemäß (meine Partnerin war auch nicht wieder aufgetaucht) und brachte mir unverhohlenen Unbill entgegen. Man ging sogar so weit, mir Attribute wie "Unkenntnis, Rückständigkeit, Geschmacksverirrung und Snobismus" vorzuwerfen.
Dies brachte mich bereuenswerter Weise in die Stimmung zu der Antwort, dass dies alles vielleicht sein mag, aber ich solange damit leben kann, wie ich eine Uhr am Handgelenk trage, die das ist, was sie vorgibt zu sein.
Damit hatte ich den GAU nun perfekt. Ein besonders mutiger Sprecher der Herde stellte wie selbstverständlich in dem von mir erwarteten abfälligen Tonfall die Frage: "
Und das wäre?"
ENDLICH! Ich erhielt in der folgenden Stunde die Gelegenheit, einen unvergesslichen Vortrag über mechanische Uhren im allgemeinen und Sinn-Uhren im speziellen zu halten, der nur durch die Reichung von Alkohol und Snacks durch meine Partnerin (sie war wieder aufgetaucht) unterbrochen wurde. Am Ende meiner Ausführungen blieb die Überzeugung, dem mittlerweile angeheiterten Auditorium einen Einblick in "unsere Welt" gegeben zu haben und ihren Horizont soweit erweitert zu haben, dass sie mir nie wieder mit einem Machwerk solchen Ausmaßes unter die Augen treten werden.
In der Hoffnung, sie geheilt zu haben und dem guten Gefühl des Happy-Ends freue ich mich auf die nächste Zusammenkunft!
Wo ist nur wieder meine Partnerin?