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Ich verstehe die Aufregung nicht.

Herr Wulff hat sich in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident geldwerte Vorteile von Unternehmern einräumen lassen - ein Privatkredit, dessen Zinssatz deutlich unter dem liegt, was bei Banken üblich ist, ausgehandelt von einem befreundeten Unternehmer und offiziell gewährt von dessen Gattin sowie kostenlose Ferienaufenhalte in den Domizilen befreundeter Unternehmer sind geldwerte Vorteile.

Soweit, so gut. Doch was ist jetzt daran besonderes? Tun wir doch bitte nicht so, als seien Politiker ehrliche Menschen. Wären sie ehrlich, wären sie keine Politiker. Und stellen wir uns selbst nicht dümmer oder naiver als wir sind: wir wissen, was für Ganoven in der Politik unterwegs sind. Schließlich haben wir sie selbst, aus unseren eigenen Reihen, dorthin gewählt oder ihnen ermöglicht, sich wählen zu lassen. Unsere Politiker sind schließlich nicht vom Himmel gefallen.

"Herr Wulff" ist nicht mehr als ein Symptom unseres politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems. An dem würde sich auch nichts ändern, wenn im Schloss Bellevue jemand säße, der so aufrichtig wäre, das Geld, das die Millionen einfacher Bürger ohnehin nicht haben, gar nicht erst anzunehmen. Denn was in diesem Land geschieht und zu geschehen hat, bestimmen keine Frau Merkel und erst recht kein Herr Wulff. Und die normalen Bürger, die bestimmen das ohnehin nicht. Das bestimmen ganz andere. Die Politiker sind nur dazu da, um uns deren Wünsche und Begehrlichkeiten als "alternativlos" zu verkaufen und sie im Rahmen einer "Politik der ruhigen Hand" und einer "Politik der kleinen Schritte" in Gesetzesform zu gießen.

Also, wozu sollte ein eventueller Rücktritt von Herrn Wulff gut sein? Er würde nur die Kosten erhöhen: noch ein Staatspensionär mehr, mit sofortigem und lebenslangem Bezugsrecht auf einen jährlichen "Ehrensold" von 200.000 € nebst Dienstwagen und Chauffeur sowie Büro mit Sekretariat. Und der nächste wäre nicht besser. Denn korrupte Politiker sind nun einmal systemisch bedingt. Oder auch, etwas volkstümlicher formuliert: Die Futtertröge bleiben die gleichen, bloß die Schweine, die aus ihnen fressen, wechseln ab und zu.

Zitat von »nagbor«

Ich bin Beamter, [...]. In jeder Dienststelle gibt es dafür Korruptionsbeautragte.
Warum sollen für unser Staatsoberhaupt andere Regeln gelten ?

Boris, Du bist nur Beamter, aber kein Bundespräsident oder sonstiger Entscheidungsträger an der Spitze des Staates. Schon die alten Römer wussten es: Quod licet Iovi, non licet bovi - wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.

Ich finde es fast schon erheiternd, wie unverblümt sich unsere Politiker mittlerweile auf jede nur erdenkliche Art korrumpieren lassen. Vielleicht öffnet das den Leuten ja endlich mal die Augen für die Realitäten unseres Systems.


In diesem Sinn wünsche ich euch ein besinnliches und gesegnetes Weihnachtsfest:

Weihnachtslied, chemisch gereinigt

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.
Mutter schenkte Euch das Leben.
Das genügt, wenn man’s bedenkt.
Einmal kommt auch eure Zeit.
Morgen ist’s noch nicht soweit.

Doch ihr dürft nicht traurig werden.
Reiche haben Armut gern.
Gänsebraten macht Beschwerden.
Puppen sind nicht mehr modern.
Morgen kommt der Weihnachtsmann.
Allerdings nur nebenan.

Lauft ein bisschen durch die Straßen!
Dort gibt’s Weihnachtsfest genug.
Christentum, vom Turm geblasen,
macht die kleinsten Kinder klug.
Kopf gut schütteln vor Gebrauch!
Ohne Christbaum geht es auch.

Tannengrün mit Osrambirnen –
Lernt drauf pfeifen! Werdet stolz!
Reißt die Bretter von den Stirnen,
denn im Ofen fehlt’s an Holz!
Stille Nacht und heil’ge Nacht –
Weint, wenn’s geht, nicht! Sondern lacht!

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!
Morgen, Kinder, lernt fürs Leben!
Gott ist nicht allein dran schuld.
Gottes Güte reicht so weit …
Ach, du liebe Weihnachtszeit!

(Erich Kästner, 1928 )

Zitat von »Big Ben«

Herr Wulff hat einen oder zwei Kredite mit vergünstigten Zinsen bekommen, nur mit welchen Zinsätzen vergleicht man diese? Mit den Sätzen, die in einer Tabelle stehen oder mit denen, die ein geschickter Verhandlungspartner sowieso „raus holt“ ?

Und die kostenlosen Urlaube bei persönlich befreundeten Unternehmern, die Herr Wulff und gnädige Frau Gemahlin in den Feriendomizilen an den Traumurlaubsorten dieser Welt verbringen durften? Gehörten die sozusagen mit zum "Gesamtpaket", das der niedersächsische Geldadel dem damaligen Ministerpräsidenten geschnürt hat, natürlich ohne jegliche Hintergedanken, einfach nur beseelt von dem unbändigen Wunsch, einem überarbeiteten und unterbezahlten Staatsdiener etwas Gutes zu tun? Und Herrn Wulffs Akzeptanz solcher Einladungen trotz der Kenntnis entsprechender Gesetze, die ihm eine derartige Vorteilnahme untersagen? Und dann der seit Tagen andauernder Eiertanz des Herrn Wulff in dieser Sache, gepaart mit dem Umstand, dass er bis gestern mit den Bürgern nur über seine Rechtsanwälte kommunizieren ließ? Zeigt das alles etwa, dass der Mann ein reines Gewissen hat, dass er sich nichts hat zuschulden kommen lassen?

Nicht die Debatte über Herrn Wulffs Verhalten beschädigt das Amt des Bundespräsidenten, welches ohnehin so überflüssig ist wie ein Kropf. Es ist Herrn Wulffs Verhalten selbst, welches dem Ansehen des Amtes Schaden zufügt oder besser: welches den Charakter des politischen Systems offenbart, in dem wir leben. Koalitionspolitiker wie Herr Althaus und Herr Schäuble (ausgerechnet der Mann, der dann unter Amnesie litt, als ihm ein Kriegswaffen-Lobbyist einen Aktenkoffer mit Bargeld-Füllung überreichte und der es auch als Innenminister mit der Achtung der grundgesetzlich garantierten bürgerlichen Freiheiten nicht ganz so genau nahm), die jetzt lautstark ein sofortiges Ende der Diskussion fordern, verwechseln da ganz offensichtlich Ursache und Wirkung - aber das ist bei diesen Leuten ja nichts neues. Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass es mit den Heinis von den anderen Parteien keinen Deut besser wäre, weshalb ich ja auch schon vorgeschlagen habe, Herrn Wulff dort zu belassen, wo er jetzt ist. Denn da er in seinem Amt nicht allzu viel zu sagen hat und es jetzt auch öffentlich und allgemein bekannt ist, dass er fleißig den "Tango Korrupti" tanzt, kann er zumindest keinen allzu großen Schaden mehr anrichten. Als Frühpensionär würde er jedenfalls das Budget völlig unproduktiv belasten (das tun Bundespräsidenten zwar ohnehin, aber das ist systemisch bedingt), und beim nächsten Grüßaugust müssten wir erst noch herausfinden, welche Leichen der nun im Keller liegen hat.