Alle meine Uhren sind magnetisch!

  • Ich weiß, dass das Thema schon vielfach diskutiert wurde und dass die Meinung über den Sinn oder Unsinn einer Magnetfeldabschirmung weit auseinander gehen.

    Die Mehrheit hält es wohl für technischen "Firlefanz" (zu der Überzeugung war auch ich gekommen - bis heute). Darum habe ich heute die Probe mal aufs Exempel gemacht und mir einen kleinen Kompass gekauft, um zu testen, ob meine Uhren magnetisch sind.

    Und was soll ich sagen? Die Nadel hat bei ALLEN Uhren ausgeschlagen, sogar bei meiner UX (allerdings nur ganz wenig). :shock:

    Insgesamt war der Ausschlag immer nur sehr gering, aber vorhanden.

    Schätze das bedeutet, dass alle meine Uhren magnetisch sind. Aber anscheinend hat das keinen Einfluss auf die Ganggenauigkeit, die ist nämlich bei allen ausnahmslos EXTREM gut, Abweichung 1-3 sec/d.

    Wie passt das zusammen? Muss ich mir jetzt doch ein Entmagnetisiergerät kaufen? Falls ja, könnt ihr ein vollautomatisches, das nicht allzu teuer ist, empfehlen?

    Grüße Joe

  • Ich versuche jetzt mal, meine verstaubten Kenntnisse aus dem Physikunterricht wieder auszugraben und hoffe, daß ich mich bei den folgenden Zeilen nicht zum "Vollpfosten des Monats" mache. ;)

    Wenn ich mich recht erinnere, dann ist es die Kompaßnadel, die magnetisch ist. Die Uhrengehäuse bestehen aus einer ferrithaltiger* Metallegierung (316 L oder 904 L) und beeinflußen durch ihren Eisengehalt das Magnetfeld der Kompaßnadel.

    Bei der U-Serie bestehen die Gehäuse aus praktisch ferritfreiem* U-Boot-Stahl, daher wird selbst das äußerst empfindliche Magnetfeld einer Kompaßnadel nicht merklich beeinflußt. Genau dieses amagnetische Verhalten des U-Boot-Stahls ist es, was U-Boote aus solchem Stahl praktisch nicht mehr ortbar macht, wenn sich die Boote erst einmal unter der Wasseroberfläche befinden.

    Mit einer Magnetisierung des Uhrwerks (genauer: der Feder) hat das m. W. alles nichts zu tun. Eine Magnetisierung der Feder wird auf jeden Fall das Gangverhalten der Uhr beeinflußen, und zwar deutlich messbar.

    ---
    * Ferrit = eisenhaltiges Metall

  • Hallo Joe,

    habe eben den gleichen Test mit einem recht guten Kompass von Bezard gemacht und bin zu folgendem Ergebnis gekommen:

    157 keine Abweichung, weder neben noch unter dem Kompass.
    144 GMT ca 2° (360°) Abweichung neben dem Kompass. Unter dem Kompass ca 40° Abweichung je nach Drehung der Uhr.

    Ist das Normal?
    Hängt damit vielleicht zusammen, dass die Uhr immer langsamer wird?? Z.Zt. ca 4 - 6 sec/d Nachgang.

    Gruss

    Lorenz

  • Habe ich Dich richtig verstanden, Olaf: Jedes ferrithaltige Metall beeinflusst ein Magnetfeld. Das bedeutet aber nicht, dass das Metall selbst magnetisch ist.

    Also kann man aus der Tatsache, dass ein Uhrengehäuse eine Kompassnadel beeinflusst schon gleich gar nicht schliessen, dass die Unruh magnetisiert wäre.

    Mit anderen Worten: Der Test ist Schwachsinn. Ich meine, ich hätte in einem Buch über die Reparatur von Uhren gelesen, dass man so überprüfen könne, ob die Uhr magnetisiert war. Aber wahrscheinlich nur im ausgebauten Zustand, ohne das Gehäuse.... :roll:

    Mist, eigentlich hab´ ich das doch auch alles mal gelernt, is aber schon so verdammt lang her... verdamp lang her... verdamp lang...

    Ach ja, noch was: Seltsamerweise war der Ausschlag bei meiner Titan-Uhr (W2) am stärksten. Titan enthält aber doch gar kein Ferrit. Oder sollte es etwa eine Titan-Eisen-Legierung sein? Gibt´s sowas überhaupt? :help:

    Grüße Joe

  • Zitat von Joe_Martini


    Habe ich Dich richtig verstanden, Olaf: Jedes ferrithaltige Metall beeinflusst ein Magnetfeld. Das bedeutet aber nicht, dass das Metall selbst magnetisch ist.

    316 L und 904 L sind aufgrund ihres sogenannten Delta-Ferrit-Gehaltes in sehr geringem Maße durchaus magnetisierbar, U-Boot-Stahl dagegen praktisch nicht mehr. Daher können die Delta-Ferrite im 316 L und 904 L Magnetfelder magnetische Wechselwirkungen verursachen, U-Boot-Stahl dagegen nicht.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Ferrite


    Zitat von Joe_Martini


    Also kann man aus der Tatsache, dass ein Uhrengehäuse eine Kompassnadel beeinflusst schon gleich gar nicht schliessen, dass die Unruh magnetisiert wäre.

    Die Unruh ohnehin nicht, denn sie besteht aus Berylliumbronze. Magnetisierbar ist nur die Spiralfeder aus ferrithaltigem Nivarox. Aber ob diese magnetisiert ist, läßt sich nur feststellen, wenn man das Werk ausschalt.

    Lies mal http://www.sinn.de/LEXIKON/technologie.htm den Eintrag "Nivarox", da wird eigentlich die gesamte Uhrfeder-Problematik deutlich: Gleichzeitige Unempfindlichkeit gegen Temperaturschwankungen, dauerhaft gleichbleibende Elastizität und höchstmögliche Unempfindlichkeit gegen (elektro)magnetische Einflüße gibt es nicht.* Und da man die Feder leichter vor äußeren magnetischen Einflüßen schützen kann als vor Temperaturschwankungen oder altersbedingten Materialermüdungen, fällt der "Kompromiß" bei Nivarox sehr einseitig zu Ungunsten der magnetischen Unempfindlichkeit aus.


    Zitat von Joe_Martini


    Mit anderen Worten: Der Test ist Schwachsinn. Ich meine, ich hätte in einem Buch über die Reparatur von Uhren gelesen, dass man so überprüfen könne, ob die Uhr magnetisiert war. Aber wahrscheinlich nur im ausgebauten Zustand, ohne das Gehäuse.... :roll:

    So ist es.


    Zitat von Joe_Martini


    Ach ja, noch was: Seltsamerweise war der Ausschlag bei meiner Titan-Uhr (W2) am stärksten. Titan enthält aber doch gar kein Ferrit. Oder sollte es etwa eine Titan-Eisen-Legierung sein? Gibt´s sowas überhaupt? :help:

    Lies dies und verstehe:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Titan_%28Element%29
    http://de.wikipedia.org/wiki/Titaneisen :D

    "Titan" in reiner Form kommt auf der Erde praktisch nicht vor, sondern wird i. d. R. aus Titaneisen gewonnen. Auch sogenanntes "Reintitan" ist eben nicht garantiert 100 % reines Titan, sondern je nach Gütegrad (je reiner desto teurer!) mehr oder weniger stark mit Ferrit verunreinigt.


    ---
    * Bei einer brandneuen Entwicklung von Rolex, die erstmalig in der GMT Master II, der Milgauss (neue Modelle) und der Yachtmaster II Verwendung findet, nämlich der sogenannten Parachrom-Spirale, ist eine höchstmögliche Unempfindlichkeit gegen Magnetfelder gegeben. (Und "nebenbei" auch eine zehnfach höhere Unempfindlichkeit gegen Stöße als bei konventionellen Nivarox-Federn.)

    Ganz kurz auf Deutsch:
    http://blog.uhren-links.de/2007/10/08/die…erder-von-rolex

    Detailliert und lesenswert dazu auf Englisch:
    http://www.timezone.com/library/extras/200708222443

  • Also wenn ich einen Magneten vom Kühlschrank abnehme und in die Nähe von Metall (eisenhaltig) bringe, das selbst offenbar nicht magnetisch ist, wird es trotzdem angezogen.
    Die Kompassnadel ist magnetisch, es erscheint mir daher logisch, dass sie sich in Richtung Metall (eisenhaltig) ausrichtet. Das heisst doch aber noch nicht, dass das Stück Metall dann selbst magnetisch ist, oder?

    --
    Schöne Grüße aus Berlin

    Andreas aka eosfan

  • Vielen Dank, Olaf, sehr lehrreich! :thumbup:

    Man muss halt die richtigen Leut´ fragen...


    Was mach´ ich jetzt eigentlich mit meinem Kompass? :pottytrain5:

    Grüße Joe

  • Zitat von eosfan

    Also wenn ich einen Magneten vom Kühlschrank abnehme und in die Nähe von Metall (eisenhaltig) bringe, das selbst offenbar nicht magnetisch ist, wird es trotzdem angezogen.
    Die Kompassnadel ist magnetisch, es erscheint mir daher logisch, dass sie sich in Richtung Metall (eisenhaltig) ausrichtet. Das heisst doch aber noch nicht, dass das Stück Metall dann selbst magnetisch ist, oder?

    Richtig!!
    Deine Kühlschranktür ist ja wohl nicht magnetisch, trotzdem hält der Magnet dort :wink: .

    Nichts ist so dauerhaft, wie ein funktionierendes Provisorium.

  • Als Laie verstehe ich unter 'Antimagnetisch' wenn sich das Metall neutral zu Magneten verhält, also weder Magnete anzieht oder abstösst. Da die Kompassnadel leicht magnetisch ist dürfte sie nicht ausschlagen. Dies tut sie aber bei meiner 144 GMT, jedoch nicht bei der 157 und der Vostok. Kann es auch daran liegen, dass die 144er einen Glasboden hat?
    Ehrlich gesagt traue ich mich nicht mal mit einem stärkeren Magneten an die Uhr zu gehen um festzustellen ob man die Unruh zum Stillstand bringt.

    Entschuldigt meine laienhaften Äusserungen.

    Gruss

    Lorenz

  • Zitat von gewaltschrauber

    Als Laie verstehe ich unter 'Antimagnetisch' wenn sich das Metall neutral zu Magneten verhält, also weder Magnete anzieht oder abstösst. Da die Kompassnadel leicht magnetisch ist dürfte sie nicht ausschlagen.

    Genau da liegt das Mißverständnis.

    "Antimagnetisch" bedeutet im Zusammenhang mit mechanischen Kleinuhren nicht etwa, das sie von Magneten nicht angezogen werden können, sondern dass sich ihr Gangverhalten unter dem Einfluss einer definierten maximalen Magnetfeldstärker noch innerhalb einer bestimmten Range bewegt. Das Ganze ist in der DIN 8309 festgehalten.

    Konkret bedeutet das , dass eine Uhr nach einem Magnetfeldeinfluss von 4.800A/m keine größere Gangabweichung als +-30 Sekunden/Tag haben darf. Unter dem Einfluss dieser Stärke darf sie auch nicht stehen bleiben.

    Beim Begriff "Antimagnetisch" geht es also um Toleranzen bzw. Grenzwerte im Hinblick auf das Gangverhalten von Uhren unter dem Einfluss von Magnetfeldern.

    Der erhöhte Magnetfeldschutz, wie er von Sinn in bestimmten Modellen zum Einsatz kommt, besagt nichts anderes, als dass die Uhr eine Abschirmung gegen stärkere Magnetfelder erhalten hat - nämlich 80.000A/m.

    Gruß
    Gerhard

    Nichts ist so dauerhaft, wie ein funktionierendes Provisorium.

  • Zitat von gewaltschrauber

    Als Laie verstehe ich unter 'Antimagnetisch' wenn sich das Metall neutral zu Magneten verhält, also weder Magnete anzieht oder abstösst.

    Was Du beschreibst, Lorenz, nennt man amagnetisch. ;)

    Antimagnetisch ist alles, was Schutz vor den Auswirkungen von Magnetfeldern bietet. Selbst eine Nivarox-Spirale ist antimagnetisch, d. h., bis zu einer Magnetfeldstärke von 4.800 A/m wird sie in ihrer Funktion nicht so eingeschränkt, daß sie die vorgeschriebenen DIN-Werte (max. 30 Sek. Abweichung/24 Std.) nicht mehr einhalten kann.

    Das Problem ist, ebenfalls laienhaft ausgedrückt, daß es nur wenige Stahllegierungen gibt, die völlig amagnetisch sind (technisch gesprochen: die praktisch keinerlei Delta-Ferrite enthalten und daher keine Wechselwirkung zu Magnetfeldern aufbauen). 316 L und 904 L gehören nicht zu den völlig amagnetischen Materialien, wiewohl siesie trotz ihres Eisengehaltes im klassischen Sinn nicht als ferromagnetische Materialien gelten (siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Austenit).

    Weicheisen ist - im Gegensatz zu Austeniten - ferromagnetisch, d. h., es tritt in eine deutliche Wechselwirkung mit Magnetfeldern. Als sogenanntes weichmagnetisches Material bleibt es aber nur solange magnetisiert, wie von außen ein Magnet auf das Material einwirkt. Gleichzeitig schirmt das Weicheisen seinen "Innenraum" vor Magnetismus wirkungsvoll ab. Dies macht man sich z. B. zunutze, indem man ein Uhrwerk bzw. die hartmagnetische, d. h., dauerhaft magnetisierbare Nivarox-Spirale mit einem weichmagnetischen Gehäuse schützt. SINN verwendet Zifferblätter, Gehäuseböden und Werkhalteringe aus Weicheisen bei allen Uhren mit Magnetfeldschutz.


    Zitat von gewaltschrauber


    Da die Kompassnadel leicht magnetisch ist dürfte sie nicht ausschlagen. Dies tut sie aber bei meiner 144 GMT, jedoch nicht bei der 157 und der Vostok. Kann es auch daran liegen, dass die 144er einen Glasboden hat?

    So sieht es aus.


    Zitat von gewaltschrauber


    Ehrlich gesagt traue ich mich nicht mal mit einem stärkeren Magneten an die Uhr zu gehen um festzustellen ob man die Unruh zum Stillstand bringt.

    Darauf solltest Du auch wirklich verzichten, denn die Nivarox-Spirale würde ein solches Vorgehen übelnehmen. :roll:


    Das größte Problem beim Verständnis von Magnetismus scheint m. E. zu sein, daß die meisten Leute sich die Auswirkungen von Magnetfeldern wie einen Lichtschalter vorstellen: Magnetismus liegt an oder eben nicht. Genau das stimmt aber nicht. Die Auswirkungen des Magnetismus lassen sich nicht auf Ja/Nein reduzieren. Eine Spirale wird nicht entweder komplett oder gar nicht magnetisiert. Ganz salopp: "Ein bißchen schwanger" gibt's zwar nicht, aber "ein bißchen magnetisiert" schon. ;)

  • Danke Olaf, dass du dir die Mühe gemacht hast einem Sesselfurzer die Sache einleuchtend zu erklären. Wenn ich den Wikipedia-Link weiterverfolge wird es für mich richtig wissenschaftlich.

    Gruss

    Lorenz

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