Chinawerke?

  • Bedingt durch den Drang der Uhrenhersteller in letzter Zeit eine spektakuläre Komplikation nach der Anderen dem zahlungswilligen Publikum offerieren zu wollen (siehe vergangene Messen in Basel und Genf), ist das Angebot mechanischer Uhren mit Schweizer Werken unter der 1000 Euro Grenze eher eng geworden. Gerüchteweise vernahm man auch schon dass die Verträge der ETA mit SINN beim Auslaufen sind (2010???). Mir kommt vor, dass zur Zeit jede Uhrenfirma unbedingt zum „uhrmacherischen Olymp“ drängt, die Lücke im oben angeführten Preissegment, die dadurch entsteht, versuchen nun ein paar Hersteller mit mechanischen Uhrwerken aus China zu schließen.
    Wie seht Ihr diese Entwicklung, bin auf Eure Meinungen gespannt.
    Grüße
    Hubert

  • Ich glaube nicht, dass der Lieferstopp von ETA ein Gerücht ist. Allerdings gibt es genügend qualitativ gute Nachbauten von Sellita (Marcello C. verbaut sie bereits) oder Soprod :?: , die dann den Markt (vielleicht auch Sinn) beliefern. Billiger wird das nicht werden. Vielleicht ist die Qualität sogar besser als beim Original.

    Die China-Werke sind vor allen Dingen billig zu haben (Tourbillon bei Millenium Enterprise 750,-€ pro Stck. inkl. Schipping -bei Abnahme von 10 Stck.-, die Chronowerke kommen auf 15,-€ pro Stck. und die Drei-Zeiger-Werke auf 5,-€ pro Stck.). Insoweit verwundert die Schwemme der Chinawerke nicht; zumal der Normalverbraucher nur das Prädikat "mechanisches Werk" (=Luxus) sieht. Selbst die Konzessionäre bieten ja schon Ingersoll an.
    Die Kalkulation geht auch auf: Herstellerpreis eines Chrono 50,- € (da hat der Hersteller schon jede Menge Gewinn), der Lizensinhaber verkauft als Großhändler den Chrono für 150 - 200,-€ an den Einzelhandel. Der verkauft für 300 - 400,-€ (100% Aufschlag) den vermeintlichen Luxusartikel an den Endverbraucher.

    Gruß Gero

  • Zitat von thesaint

    Gerüchteweise vernahm man auch schon dass die Verträge der ETA mit SINN beim Auslaufen sind (2010???). Mir kommt vor, dass zur Zeit jede Uhrenfirma unbedingt zum „uhrmacherischen Olymp“ drängt, die Lücke im oben angeführten Preissegment, die dadurch entsteht, versuchen nun ein paar Hersteller mit mechanischen Uhrwerken aus China zu schließen.
    Wie seht Ihr diese Entwicklung, bin auf Eure Meinungen gespannt.

    Bitte entschuldige, daß ich jetzt gähnen muß - das ist nicht persönlich gemeint. ;)

    Daß die Lieferverträge mit ETA auslaufen, ist ein uralter Hut (seit 2002 ist schon klar, wohin die Reise geht). Es hat damit zu tun, daß ETA Mitte 2002 ankündigte, die Lieferung von (teil)demontierten Rohwerken (Ebauches, Bausätze) an konzernfremde Hersteller zu reduzieren bzw. sogar komplett einzustellen. Dies betrifft aber nicht nur SINN, sondern jeden Einschaler (Etablisseur) und Weiterverarbeiter (Monteur), der nicht Mitglied der Swatch Group ist. Da ETA den Lieferstop binnen drei Jahren (1.1.2003 bis 1.1.2006) "durchziehen" wollte, protestierten die Ebauche-Monteure Jaquet und Selitta beim Schweizer Kartellamt (dort heißt diese Institution Wettbewerbskommission, kurz Weko) und verwiesen auf ETAs marktbeherrschende Stellung und das Fehlen von Bezugs-Alternativen. Die Weko gab dieser Beschwerde in allen wesentlich Punkten recht, und man einigte sich mit der ETA auf einen Kompromiß (klick - das Lesen lohnt sich!). Danach darf die ETA erst bis 2010 schrittweise die Lieferung von Rohwerken an konzernfremde Firmen einstellen, damit den Monteuren und Etablisseuren genügend Zeit bleibt, sich um Alternativen zu kümmern. Daß die beiden beliebten Kaliber 2824-2 und Valjoux 7750 seit 2003 nicht mehr unter Patentschutz stehen, erleichtert Monteuren und Etablisseuren den Übergang gleichermaßen. Selitta und andere Firmen sind ja schon fleißig dabei, diese beiden Kaliber nachzubauen. ;)

    Und damit das nicht falsch verstanden wird: Selbstverständlich bekommt nach wie vor jeder Etablisseur noch Werke von der ETA geliefert, und zwar so viele, wie vertraglich vereinbart. Aber es werden eben keine Ebauches mehr geliefert, sondern komplett montierte und einschalfertige Ware. Damit entzieht ETA (Swatch Group) den Monteuren die Lebensgrundlage und nimmt überdies solchen Etablisseuren, die ETA-Werke vor dem Einschalen noch modifizieren (z. B. Breitling und IWC), einen großen Teil der in-house kreierten Wertschöpfung weg und zieht es in den eigenen Konzern. Denn die fertigen Werke werden natürlich erheblich teurer sein als die Ebauches (na logisch), und die ETA wird mehr daran verdienen. Die Etablisseure, die dies wohl kaum hinnehmen wollen, werden sich nach Alternativen umschauen bzw. haben dies wohl schon getan und bringen eifrig Lieferverträge mit ETA und alternativen Lieferanten für die Zeit ab 2010 unter Dach und Fach.

    Es wird also spannend bleiben auf dem Markt der mechanischen Uhren und Werke.

  • Durch das Auslaufen der Patente ist der Markt ja frei und das ganze wird sich zum Wohle der Kunden regeln.

    "Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nie angeschaut haben." (Alexander von Humboldt)

  • So wie ich die Sache verstanden habe, wurde bisher auch nur von den Ebouches, also Rohwerken geredet. D.h. Sinn kann bei der ETA durchaus Komplettwerke ordern, auf den Rotor das Sinn Logo fräsen und fertig. Aufwendigere Veredelungen werden natürlich teurer, weil die Werke erst komplett zerlegt werden müssen.
    Aber ich denke auch dass das Problem der Markt regeln wird. Wenn den Einschalern wirklich das Wasser bis zum Hals steht wird sich schon jemand finden, der Kohle in die Hand nimmt, was nachbaut und profitabel verkauft.

    --
    Schöne Grüße aus Berlin

    Andreas aka eosfan

  • Zitat von bungy3000

    Durch das Auslaufen der Patente ist der Markt ja frei und das ganze wird sich zum Wohle der Kunden regeln.

    Selbstverständlich. Das ist wie auf dem Energiemarkt, auf dem sich nach der Liberalisierung ja bekanntlich auch alles zum Wohle des Kunden geregelt hat. Wir bezahlen heute für Öl, Gas und Strom bekanntlich viel weniger als noch vor zehn Jahren... :roll:

    Es sind genau zwei Patente abgelaufen, und zwar auf zwei "Feld-Wald-und-Wiesen-Kaliber". Bei den meisten Monteuren und praktisch allen Etablisseuren der Luxusklasse wesentlich beliebter ist allerdings das 2892-A2, das noch bis 2013 Patentschutz genießt. Es bildet die Basis nicht nur für diverse Dreizeiger-Uhren, sondern aufgrund seiner flachen Bauweise und seiner hervorragenden Präzision eine sehr beliebte Basis für Werke mit modularen Aufbauten, z. B. bei Breitling und IWC. üBer das 2892-A2 und die Variante 2893-2 hält "Mama ETA" immer noch seine schützenden Hände, und "Papa Hayek" paßt sorgfältig auf, daß es "dem Markt" und damit auch den Kunden nicht zu wohl wird. :roll:

  • Andere Hersteller haben bereits mit dem Nachbau des 7750 begonnen. Wenn weitere Patente auslaufen, werden auch diese Werke von anderen Herstellern angeboten werden. Da muß Hayek schon aufpassen, dass er seine ETA-Werke nicht bald nur noch in seinen Konzernmarken verbaut sieht. Wenn er die Preisschraube zu stark anzieht, lockt er weitere Hersteller auf den Markt. Der wirds daher schon richten, denn der hat ja bekanntlich immer Recht. Der Markt, nicht Hayek.

    "Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nie angeschaut haben." (Alexander von Humboldt)

  • Zitat von bungy3000

    Der wirds daher schon richten, denn der hat ja bekanntlich immer Recht. Der Markt, nicht Hayek.

    Lies Dir doch einfach mal den Bericht der Weko durch, den ich oben angegeben habe: ETA (= Swatch Group = Hayek ) IST der Markt, zumindest auf der Anbieterseite. :roll:

    Der einzige Ausweg wären die schon angesprochenen China-Werke. Selitta ist jedenfalls nicht groß genug, um ETA jetzt schon die Stirn bieten zu können.

  • Eine andere Alternative ist höchstens, wie von einigen Herstellern schon betrieben das bauen von eigenen Manufakturwerken. Für die Preise kann dann aber auch gleich ein fertig montiertes Werk von ETA demontiert, veredelt, montiert und eingeschalt werden.
    Jaja, der Markt regelt das; wie mit dem Sprit....

  • Zitat von Spencer


    Jaja, der Markt regelt das; wie mit dem Sprit....

    Beim Sprit ist wohl eher unser Staat der Markt, bei Kaliber-Lieferungen ist wohl eher Hayek....aber ich habe ja schon an anderer Stelle über Hegemonie geschrieben.

    Gruß Gero

  • Zitat von Chronometres

    Beim Sprit ist wohl eher unser Staat der Markt, bei Kaliber-Lieferungen ist wohl eher Hayek....aber ich habe ja schon an anderer Stelle über Hegemonie geschrieben.

    8te Klasse Politikunterricht. "Was ist der Staat?" "Der Staat sind wir."

    Letztendlich ist die Situation ähnlich. Der begehrte Rohstoff ist begrenzt und die Bezugsquelle ist praktisch Konkurrenzlos groß am Markt. Es gibt Alternativen, aber die sind teuer oder von minderer Qualität oder Kapazitäten.

  • Zitat von Spencer

    8te Klasse Politikunterricht. "Was ist der Staat?" "Der Staat sind wir."

    Ja, in der 8. Klasse habe ich das auch noch geglaubt!
    Da kannte ich auch noch nicht die Steuerpolitik.

    Gruß Gero

  • Geglaubt habe ich das nie. Aber gehört. Aus dem Mund eines Staatsangestellten. Meines Angestellten also, hab ich mir gedacht und fortan hier und da Kritik geübt. War schließlich mein Angestellter. Hat dieser nicht akzeptiert und mit schlechteren Bewertungen für mich gewürdigt. Wieso geben mir meine Angestellten eigentlich Bewertungen. Alles sehr merkwürdig.

  • Zitat von Spencer


    8te Klasse Politikunterricht. "Was ist der Staat?" "Der Staat sind wir."

    Letztendlich ist die Situation ähnlich. Der begehrte Rohstoff ist begrenzt und die Bezugsquelle ist praktisch Konkurrenzlos groß am Markt. Es gibt Alternativen, aber die sind teuer oder von minderer Qualität oder Kapazitäten.

    Im 17. Jahrhundert konnte der französische König Louis XIV. unwidersprochen von sich behaupten "L'Etat, c'est moi." Heute kann Hayek von sich ebenso unwidersprochen behaupten "Le marché, c'est moi." Man kommt nicht umhin, einen großen Fortschritt seit dem Ende des Roi Soleil zu konstatieren. :roll: + :D

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