Vorwort:
Ich will hiermit keine Diskussion über bestimmte Uhrenmodelle lostreten. Es handelt sich im Folgenden um reine Unterhaltung. Im Mittelpunkt steht allerdings meine vor kurzem angeschaffte Explorer I (altes Modell). Deshalb habe ich mein Erlebnis HIER eingestellt und nicht in der Forums-Kneipe.
Also, bitte ganz verspannt zurücklehnen
.
Ich hätte euch gerne davor bewahrt aber Stefan (Selespeed) hat regelrecht darum gebettelt dieses Erlebnis zu veröffentlichen
.
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Die Zellentür ist zugefallen. Ich kann hören, wie sich die Schritte der Wärter entfernen. Die Zwangsjacke hat man mir wieder abgenommen. Die Spritze fängt langsam an zu wirken. Ich werde wieder ruhiger. Auf der Einlieferung stand etwas von einer neurotischen Zwangshandlung mit exzessivem Verlauf.

Was war passiert? Was hat mich dermaßen aus der Bahn geworfen? Es ist kaum zu glauben, aber es hat mit Uhren zu tun. Uhren sind mir erschienen. Uhren aus längst vergangenen Zeiten. Uhren aus der Anfangszeit meiner Erkrankung. Einer Zeit als Oystergehäuse noch keine dicken Bäuche hatten. Als eine Datejust (oder Explorer I) im 36er-Gehäuse noch als Uhr für Männer galt. Einer Zeit als sich richtige Männer noch trauten eine Cartier Santos zu tragen. Ich hatte solche -für mich- schöne Uhren schon einmal besessen und sie doch für neue Projekte wieder ziehen lassen. Muss wohl zu einer Traumatisierung geführt haben.
Eine Explorer I im 36er Gehäuse ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Sie wurde zwar immer wieder von aktuellen Modellen in tiefere Hirnareale zurückgedrängt, sendete aber regelmäßig Signale um sich in Erinnerung zu bringen.
Ein wegweisendes Erlebnis widerfuhr mir an einem Wochenende im Juni. Ich befand mich mit meiner Familie (heißt mit Ehefrau, 3 Kindern und deren Partner) auf der alljährlichen Fahrt ins München-Wochenende zum Biergarten-Hopping. Natürlich per Bahn, wie es sich gehört. Der kleine Hunger trieb mich in den Bistrowagen um eine Wurst mit Brötchen zu holen
. Plötzlich, aus heiterem Himmel, ein Wink des Schicksals. Mein Vordermann in der Warteschlange am Bistroschalter (ca. Mitte 40, sportlich, mittelgroß) gab seine Bestellung auf:“Ein Cappucino und ein Croissant“. Dabei stützte er seinen linken Arm auf die kleine Theke ab. Wie gebannt starrte ich auf sein Handgelenk. Die Uhr war für heutige Verhältnisse recht zierlich aber eindeutig war hier ein Oysterband zu erkennen. Bei näherem Hinsehen –fast wäre ich noch nach vorne gekippt- konnte man das alte Datejustgehäuse erkennen. Aha, kein Datum (also FAST richtig getippt), dann sah ich das Zifferblatt. Eine alte Explorer I. Die arabischen Ziffern waren noch aus reiner Leuchtmasse aufgetragen.
Als ich zurück zum Platz kam, meinte meine Frau verwundert:“Wolltest du dir nicht eine Wurst holen?“ Erst da bemerkte ich, dass ich einen Cappuccino und ein Croissant in der Hand hielt. Ich erzählte meiner Frau das Erlebte und verwies auf die heftige Reaktion, die dadurch bei mir körperlich (neben den Emotionen) hervorgerufen wurde. Ich hatte tatsächlich Schaum vorm Mund, so hat mich diese Begegnung mitgenommen. Meine Frau meinte dazu ganz lapidar, dass der Schaum wohl eher vom Cappuccino kommt. OK, so kann man es auch sehen. Aber einen Versuch war’s wert. ![]()
……………einige Wochen später. Ich sitze wieder im ICE. Allerdings ist mein Ziel diesmal nicht München sondern Stuttgart. Fahrzeit ca. ½ Stunde von Mannheim aus. Schon wieder stehe ich im Bordbistro. Sitzplätze waren im ganzen Zug keine zu bekommen. Die Waggons total überfüllt (Unwetter, Zugausfälle). Ist mir aber alles egal. Die freudige Erregung im Bauchbereich lässt mich alles ertragen. ![]()
Aber erstmal zur Vorgeschichte:
Die Explorer I ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Die 36er wohlgemerkt. Dazu muss man wissen, dass ich nicht nur von kleinerer Statur bin, sondern auch mein Handgelenk den Umfang eines abgenagten Hühnerknochens kaum übertrifft. Um meine Entscheidung abzusichern wurde ein Projekt ins Leben gerufen, das mich in professionellen Schritten zur richtigen Entscheidung führen sollte.
Vorgehensweise
Schritt 1 – Big Ben Alex (Mister Rolex) kontaktiert und nach seiner Meinung gefragt
bezüglich
Modell (Alt / Neu)
Geeigneten Verkäufern
Sonstigen Aspekten
Schritt 2 – Neues Modell live inspiziert um per Anprobe einen Eindruck am Handgelenk
zu gewinnen (war mir beim Vorgängermodell bereits bekannt)
Schritt 3 – Entscheidung getroffen und Basisdaten wie folgt festgelegt:
Explorer I Modell 114270
Werk/Kaliber 3130
mit Box und Papieren (LC100)
mindestens guter Zustand
Preisobergrenze X.XXX €
Schritt 4 – Passende Angebote recherchiert
Händler angerufen
Selektion bei Chrono24 eingestellt (man wird über jedes neu eingestellte Angebot, das zur Selektion passt, sofort per Email informiert)
Ergebnis
Welches Modell mir Alex ans Herz gelegt hat kann sich wohl jeder der ihn kennt vorstellen. Objektiv gesehen hatte er auch recht. Sorry Alex, dass ich ungehorsam war. Subjektiv passt aber das Modell 114270 für Frauen und kleine Kinder
doch besser zur mir.
Zunächst war ich durch die vorhandenen Angebote etwas ernüchtert. Entweder aus den 90igern in entsprechendem Zustand oder neueren Datums aber aus dem asiatischen Raum. Klar, kommen alle aus dem gleichen Stall aber ich wollte halt einen LC 100. Basta!
Kurze Zeit nach Einstellen der Selektion in Chrono24 kam die entscheidende Email. Ein Händler in Stuttgart (überraschenderweise nicht der, an den jetzt alle denken) wollte genau die von mir gesuchte Uhr loswerden. Alles hat gepasst: Modell, Alter (Bj. 2010), LC 100 (sogar Stuttgarter Konzessionär), Zustand und Preis. Mehr kann man vom Schicksal nicht erwarten. Ich war wohl auch der erste, der am frühen Morgen, gleich zur Geschäftsöffnung um 11.00 Uhr
, anrief. Vorteil: der Händler hat bis 19.00 Uhr geöffnet, was mir arbeitstechnisch sehr entgegen kam. Wir waren uns schnell einig und meine Reisekosten waren im Rahmen eines Nachlasses ebenfalls gedeckt.
Hier die Fotos!
Allerdings war damit die Story noch nicht zu Ende.
…………………….1 Tag später! Ich sitze wieder im ICE …….nach Stuttgart. Was war passiert? Als ich am Vortrag meine Explorer abholen wollte, musste ich etwas warten bis der Kunde vor mir zufriedengestellt war. In dieser Zeit schaute ich mir die Auslagen an und ………entdeckte eine alte Cartier Santos in Stahl mit einem recht seltenen Zifferblatt. Es war cremefarben und hatte römische Ziffern in weißgold. Genau so ein Modell hatte ich mir 1996 gekauft und leider einige Jahre später für ein anderes Projekt wieder abgegeben. Die Uhr ist sehr flach, hat ein besonderes Design und trägt sich traumhaft. Eine tolle Dresswatch bzw. Business-Uhr. Die angebotene Santos war aus den 90er Jahren und hatte auch schon reichlich Tragespuren. Dafür war sie aber nach kurzen Verhandlungen für einen Appel und ein Ei zu bekommen. Für mich war sie jedenfalls noch schön genug
. Da ich den Verkauf immer bereut hatte und die Uhr gut an meinem Handgelenk aussah (meint auch meine Frau), musste ich in der besagten Woche ein zweites Mal zuschlagen. Schließlich ist es DIEEE Uhr für Dress-Watch-Typen mit Hühnerknochen-Handgelenk. ![]()
Hier die Fotos!
Allerdings war damit die Story immer noch nicht zu Ende.
………………………2 Tage später! Nein, ich sitze diesmal nicht im ICE. Es ist wieder Normalität eingekehrt; keine Fahrt nach Stuttgart heute. Komisches Gefühl, denn ich hatte mich an diese Fahrten schon richtig gewöhnt - aber man muss sich von Gewohnheiten auch lösen können.
Ich saß gerade beim Frühstück als es an der Tür klingelte. Meine Frau ging zur Tür und nahm ein kleines Paket in Empfang. Das mit der Normalität musste nochmal verschoben werden. Im Paket war nämlich eine Uhr für meine Frau. Direkt aus dem Hause Sinn.
Eine robuste aber auch hochwertige Alltagsuhr hatte ihr noch gefehlt. Wir hatten schon häufig drüber gesprochen. Jetzt war genau der richtige Zeitpunkt für die dritte Uhr in einer Woche
. Um es treffend zu formulieren: Ein Kranker sollte auch seine Krankenschwester nicht vergessen. Das Pflege-Honorar: Eine Sinn 556 I mit rotem Lederband. Ein rotes Lederband bietet Sinn offiziell nicht an. Es wurde deshalb extra im Restebestand gekramt und tatsächlich ein passendes Band gefunden. Toller Service. Danke! ![]()
Hier die Fotos!
Übrigens: Zu meiner Entlastung möchte ich noch darauf hinweisen, dass ich nicht der einzige Uhrenverrückte in der Familie bin.
Sollte es jemand bis hierher geschafft haben, noch ein gut gemeinter Rat: Bitte nicht nachmachen! DAS IST NICHT NORMAL! ![]()
Gruß
Wilfried