Ich persönlich brauche eigentlich keine Uhr mehr.
Reichlich zweidutzendfach vorgesorgt,
nicht nur für die eigenen Nachkommen,
sondern praktisch allen nachfolgenden Generationen ermöglichend,
jeglichen künftigen Uhrenanschaffungs-Haushaltsposten mit 0,- Euro zu budgetieren,
könnte ich das Thema 'Uhr' ad acta legen und in schaufensteruhrenauslagenbetrachtende Rente gehen,
wie jemand,
der auf ein erfülltes eheliches Sexualleben zurückblickt,
eines solchen jetzt aber nicht mehr bedarf,
und auch nicht mehr kann,
sich aber noch gerne erinnert,
wie einstmal gewesen.
Nun ist der Uhrenliebhaber jedoch zumeist immer auch ein Uhrensammler mit unstillbaren,
sich periodisch erneuernden Sehnsüchten,
und nicht umsonst spricht man von der 'Exitwatch',
jener Uhr, die einem den Ausstieg aus diesem Quasi-Abonnement erlaubt,
ähnlich dem letzten Schuss eines Junkies vor seinem Abgang.
Ich habe mir zwar geschworen,
keine Uhr mehr zu erwerben,
bin mir aber wie mit allen Neujahrsvorsätzen erst kürzlich wieder untreu geworden und glaube,
wer einmal mit 'Uhren' sozusagen 'angefixt' worden ist,
kommt nur mit therapeutischer Hilfe und den üblichen Rückfallquoten wieder davon los.
So streiche ich seit Wochen,
ach was, Monaten um eine Sinn U1 herum,
der einzigen Uhr,
die in einem Massenmeer desolat verunstalteter Ziffernblattgestaltungen,
welche ohne aufgebügelten Markenaufdruck völlig unidentifizierbar wären,
herausragt wie Carla Bruni unter allen Präsidentengattinen.
In Zeiten,
in denen Schnörkelzeigerproduzenten wie Chronoswiss sich in ihren Ursprung zurückverkaufen lassen müssen,
glaubt man wohl und gerne,
einer Firma wie Sinn beim Prosperieren zusehen zu können,
bietet die U1 doch neben dem Schmuckwert ,dem Statuswert, dem Funktionswert, auch einen Werkzeugwert,
und damit ein Alleinstellungsmerkmal,
welches - Sinn ist immer auch und gerade: Arbeitsuhr -
der Firma glaubhafter abgenommen werden kann,
als das ganze Fliegergebräu etwa einer Breitling,
und man daher die U1 der Gattin gegenüber ganz unemotional zu legitimieren weiß:
'Was? Du willst Dir für 1500 Euro eine Uhr kaufen?'
'Schatz, eine Sinn ist keine Uhr, sondern ein Werkzeug. Deshalb bekommt man sie, wie Festo, nicht im Kaufhaus, sondern nur im Handwerker-Fachhandel.'
'Du kaufst Dir also ein Werkzeug, um die Zeit abzulesen, also für etwas, was Du überall umsonst bekommst?'
Ich habe mich in eine haltlose Argumentation manövriert,
daher schlage ich eine Volte:
'Was Du in einem Jahr an Schuhen verbrätst, investiere ich alle drei Jahre dosiert in eine Uhr',
aber nur im schweigenden Stillen,
weil mir momentan nicht nach ehelichem Zerwürfnis zumute ist und erwidere also:
'Eine Sinn ermöglicht mir auch unter widrigen Umwelt-Umständen die korrekte Zeiterfassung und damit
Aufrechterhaltung geistiger Orientierung und chronologischer Organisation, mithin also Gesellschaftsfähigkeit.'
'Quatsch', sagt sie, 'Du hast so viele Uhren, Dir geht es nur ums Anhäufen. Warum sammelst Du nicht StarWars-Karten, im 5er-Pack zu 1,- Euro, da kriegst Du für 100 Euro gleich zwei Alben voll!'
Intellektuell rudere ich zurück,
plustere mich aber zu vollster Männlichkeit auf und sage:
'Richtig, brauchen tue ich die Uhr nicht, aber ich will sie!',
und reiße mir die Gattin wild und leidenschaftlich an den Leib,
um sie männliches Begehren spüren zu lassen
und versenke meine Zunge zwischen ihren Lippen,
ihr eine unerhörte Probe maskuliner Willenskraft kund zu tun,
die nichts bremsen kann,
was zu erobern sie sich in den Kopf gesetzt hat.
Sie stößt mich angewidert von sich und
gibt in mustergültiger Indulgenz klein bei,
als hätte sie die verschrobenen Wege virilen Verlangens längst begriffen.
Die Finanzierung wäre somit geklärt.
Nächster Schritt: Statusabfrage
Möchte man zum Personenkreis derer gehören, die sich mit einer Rolex, einer Steinhart, einer Sinn bekleiden?
Also beguckt man Uhrträger vor Ort und liest in Foren und schließt aus den textlichen Sprachproduktionen,
dass etwa Rolex-Eigner offenbar so gar nicht dem Bild entsprechen, als das die Rolex-Werbung ihre avisierte Zielgruppe wohl im Auge hat.
Ich jedenfalls werde lebenslang keine Rolex am Handgelenk tragen.
Sinn aber ginge.
Dann aber die Ernüchterung:
Abblätternde Lünettenbeschichtung,
verlorene, weil nur geklebte(!) Marker, eiernde Kronen,
Stanzungenauigkeiten, unzumutbare Vor- und Nachgänge, sich ablösende
Entspiegelungen, Paßmängel, rücklaufende, ja klappernde Drehringe,
schiefe Ziffernblätter, verschobene Indizees, erlahmte Federn,
unzureichende Gangreserve, kratzempfindliche Weicheisenschließen,
Salzwasserempfindlichkeit... usw. usf..
Und dann ein Kundenservice,
der offensichtlich manch erfahrenen Sinn-Besitzer veranlaßt,
seine Sinn-Uhr erst gar nicht dem Frankfurter Sinn-Kundendienst anzuvertrauen,
sondern nur dem örtlichen Uhrmacher,
und der deswegen grundsätzlich nur Primitivuhren wie die U1 kauft,
(und nichts mit komplizierten Komplikationen,
die nicht von jedem Lehrling gewartet werden können)
sondern nur mit etwas Geschick sogar vom Laien selbst.
Und da generell kommunikationsstatistisch auf zehn lauthals Meckernde,
von youtube über watchuseek bis malaysiawatchforum,
100 kommen, die sich im Stillen grämen,
bin ich nunmehr verunsichert.
Daher meine Frage an die Experten hier:
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit,
für 1500 Euro ein rundum mängelfreies
kundendienstinanspruchnahmefreies Exemplar einer U1 zu erhalten?