Wie ich heute in der neusten Ausgabe des Uhrenmagazins "Chronos" lesen konnte, verdankt die ETA einen ihrer größten Verkaufserfolge, nämlich das von SINN bevorzugt eingesetzte Chronographen-Kaliber Valjoux 7750 eigentlich eher einem Zufall, oder besser: der Starrköpfigkeit und regelrechten Insubordination des Uhrwerk-Konstrukteurs Edmond Capt.
Betrachtet man das Valjoux 7750 mit dem Wissen von heute, so mag man kaum glauben, daß die Geschichte des erfolgreichsten mechanischen Chronographen-Kalibers um ein Haar nach nur zweieinhalb Jahren Produktion in der Schrottpresse geendet hätte...
Dabei hatte eigentlich alles so hoffnungsvoll begonnen. Das 7750 kam 1973 auf den Markt, und es war das erste mechanische Uhrwerk, dessen Konstruktion mit Hilfe von Computerprogrammen zustande gekommen war. Es entwickelte sich zwar nicht zu einem spontanen Bestseller, aber Stückzahlen von ca. 100.000 Einheiten p. a. in den ersten beiden Jahren gaben doch Anlaß zu vorsichtigem Optimismus. Einer der ersten Großkunden war übrigens die Firma Orfina, die für den von Ferdinand Alexander Porsche entworfenen und von ihnen selbst gebauten Chrono I ein preisgünstiges, robustes und zugleich ganggenaues Werk benötigten und es mit dem 7750 auch fanden. Doch es sollte auch für lange Zeit der einzige Großkunde bleiben.
Die "Quarz-Revolution" machte alle Hoffnungen auf weitere Erfolge mit diesem Uhrwerk schnell zunichte. Bereits zweieinhalb Jahre nach Produktionsbeginn war die Nachfrage nach mechanischen Chronographen so sehr gesunken, daß die Firmenleitung der ETA an Capt die Anweisung gab, die Werkzeuge, Maschinen und Teile für das 7750 zu verschrotten. Damit wäre dem 7750 das gleiche traurige Los beschert worden wie so vielen anderen großartigen Kalibern in den 1970ern. Doch ein kleines Wunder geschah: Capt weigerte sich standhaft, "sein Uhrwerk" der endgültigen Vernichtung preiszugeben, lagerte statt dessen alles sorgfältig verpackt ein und hoffte darauf, daß dem 7750 eine Wiedergeburt beschieden sein würde...
Der Rest ist bekanntlich Geschichte: Als um 1983 die Renaissance der mechanischen Uhr einsetzte, waren nur noch sehr wenige Chronographen-Kaliber verfügbar. Da erinnerte man sich bei der ETA an Capts Bravourstück (so schnell können aus Befehlsverweigerern Helden werden) und reaktivierte, was man acht Jahre zuvor hatte wegwerfen wollen. Aufgrund seiner konstruktiven Vorzüge und der verhältnismäßig geringen Stückkosten (z. B. im Vergleich zum Lémania 5100) wurde das Werk in zahlreichen Variationen, als Bi- und Tricompax, mit Wochentags- oder 24-Stunden-Anzeige usw. nunmehr zu einer unvorhergesehenen Erfolgsgeschichte für die ETA. Bei fast allen Herstellern mechanischer Uhren erfreut sich das 7750 großer Beliebtheit.
Sehen wir uns doch z. B. mal an, was Lothar Schmidt, seines Zeichens Geschäftsführer unseres Lieblingsuhren-Herstellers zum Thema 7750 zu sagen hat:
ZitatBeim 7750 handelt es sich um eine bewährte Konstruktion, ohne negative Überraschungen. Es eignet sich hervorragend für Umbauten und Ergänzungen [...] Darüber hinaus lässt es Spielraum für technologische Weiterentwicklungen wie zum Beispiel die Diapal-Technologie, [...] Zurzeit gibt es kein besseres Werk mit gleich gutem Preis-Leistungs-Verhältnis. [...]
Und was sagt Edmond Capt, der Schöpfer dieses "Erfolgs-Stoppers" zu seinem Meisterwerk? Nun, obwohl inzwischen in die erweiterte Konzernleitung der Swatch Group aufgestiegen und u. a. auch für die Gesamtleitung von Frédérique Piguet und Nouvelle Lémania (heute die Uhrwerk-Manufaktur der Luxusmarke Breguet!) verantwortlich, sagt nur kurz und bescheiden:
ZitatIch habe getan, was man mir als jungem Techniker aufgetragen hat. Nicht mehr und nicht weniger.
(Quelle: Chronos, Heft 2/2008, S. 72-84)
Da bleibt nur eines übrig, das man dazu sagen kann: Danke, Edmond Capt!
Hier mal ein Blick auf ein aktuelles Valjoux 7750:
(Das Foto stammt vom Forumskollegen BigBen aus diesem Beitrag.)
PS: Inzwischen ist der Musterschutz für das 7750 abgelaufen, d. h., jeder kann dieses Uhrwerk nunmehr legal nachbauen. Nicht nur die Chinesen und Russen tun dies mittlerweile fleißig, sondern auch Sellita wird mit dem "Kaliber SW 500" einen Nachbau des wohl berühmtesten mechanischen Chronographen-Werks der Welt auf den Markt bringen.