Sinn AR Trockenhaltekapsel selbst warten / kleiner Anleitungsfaden

  • Hallo Sinners,

    ich habe mich heute mal etwas hinter dir Sinn AR-Technologie geklemmt.

    Hintergrund war, dass ich eine schöne Sinn 203 Arktis bekommen habe, welche über die AR Technologie verfügt. Die Uhr wurde vor kurzer Zeit bei einem freien Uhrmacher revisioniert, läuft also top, jedoch ist die AR Kapsel stark bläulich verfärbt. Diese konnte der freie Uhrmacher nicht tauschen, weil Sinn die nicht einzeln verkauft sondern nur im Hause gewechselt wird, sprich man sendet die Uhr zu Sinn oder bringt sie hin.

    Also was haben wir? Eine Uhr, die revisioniert ist und den Drucktest bestanden hat, jedoch eine blaue Kapsel und keine Schutzgasfüllung mehr hat, was einfach unschön aussieht.

    Da es bei der Kapsel ja um eine chemische Reaktion geht, die Feuchtigkeit bindet und diese blau färbt, müsste diese ja auch umkehrbar sein, dachte ich mir.


    Wikipedia meint dazu:
    Kupfersulfat-Pentahydrat CuSO4 · 5 H2O (Kupfer(II)-tetraoxosulfat(VI)-Pentahydrat, Mineralname: Chalkanthit) bildet trikline Kristalle mit blauer Farbe, die beim Erhitzen nach und nach ihr Kristallwasser abgeben und schließlich zu farblosem Kupfersulfat-Anhydrat werden. Bei 95 °C spalten sich zwei Wassermoleküle ab, es entsteht das Trihydrat. Weitere zwei Wassermoleküle werden bei 116 °C abgespalten, das letzte bei 200 °C, dabei verlieren die Kristalle ihre blaue Farbe und werden zu farblosem Kupfersulfat CuSO4. Dieser Vorgang ist umkehrbar, beim Auflösen des wasserfreien Anhydrats in Wasser färbt sich die Lösung durch Hydratation der Cu2+-Ionen blau und erwärmt sich dabei (Hydrationsenergie).

    Kurz überlegt und zu dem Ergebnis gekommen, einen Versuch im Backofen ist es allemal wert.

    Die Kapsel baut man mit einem Schlitzschraubendreher aus (hier Bergeon 250, sprich 2,5 mm Breite). Hinten findet man dann noch eine kleine Gummidichtung, diese abziehen (zu viel Hitze tut der sicher nicht gut). Die Kapsel habe ich dann bei 200 Grad rund 15 Minuten in den Backofen gepackt und siehe da, sie wurde wieder hell, die chemische Reaktion hat sich umgekehrt, die Kapsel hat die gebundene Feuchtigkeit wieder abgegeben, soweit so gut.

    Sicherlich könnte man die Kapsel nun einfach wieder einbauen und sie würde sich nicht all zu schnell wieder verfärben, jedoch wäre es ohne die Schutzgasfüllung ja nur halb perfekt, wenn auch nicht viel dagegen spricht. Sinn verwendet hier das Schutzgas Argon, wie schon der Name "AR Trockenhaltetechnik" verrät. Argon ist schwerer als Luft, durfte sich also beim Befüllen der Uhr durch das Loch, in dem sonst die Kapsel sitzt, bei aufgestellter Uhr Position "Loch oben" unten in der Uhr sammeln und so die Umgebungsluft verdrängen. Also schnell etwas gebastelt, um Argon 4.6 einzuleiten. Ich bezweifle zwar, dass die Umgebungsluft da vollständig verdrängt wird, aber schaden kann es nicht und wir sind hier ja beim Experimentieren.

    Auch wenn man sich den Teil mit dem Schutzgas spart macht sowas denke ich in bestimmten Fällen allemal Sinn, wenn die Uhr z.B. ohnehin aufgrund einer Nachregulierung oder Service beim freien Uhrmacher über keine Schutzgasfüllung mehr verfügt. Die behandelte Kapsel kann nun immerhin wieder Feuchtigkeit aufnehmen und das tun, was sie soll.

    Wenn man bedenkt, dass das nur ein paar Minuten kostet, nichts kostet, mit einfachstem Werkzeug (ohne Schutzgasfüllung) und einem Backofen sowie 2 linken Händen zu schaffen ist, eine tolle Sache wie ich finde.


    Anbei ein paar Fotos zum Versuch.

  • Lässig!

    Dass die Kapsel im Backofen "ausgebacken" werden kann ist natürlich nichts Neues. Aber das mit dem Argon finde ich interessant! Top1

    Als Nichttechniker, der noch nicht einmal zu Studentenzeiten einen VW 181 am Leben halten konnte (sorry, Dude - ich denke immer noch oft an Dich! SchuechternKichern) war mir nicht klar, dass Argon 4.6 eigentlich in jeden guten Haushalt gehört. Somit stellt sich die Frage: wie hast Du das gemacht?

    Kannst Du da noch etwas ausführlicher werden?

    Ihr habt die Uhren - wir haben die Zeit

    (Afghanisches Sprichwort)

  • da bin ich auch mal gespannt, ob das dann wieder funktioniert; ein paar Fragen tauchen da spontan bei mir noch auf:

    - hat die Uhr überhaupt noch die Wasserdichtigkeit (wenn der Ring nicht mehr die Viskosität hat oder "verletzt" wurde, hätte ich Bedenken)
    - wie fest muss die Kapsel eingedreht werden

    --> die Uhr würde ich zur Sicherheit nochmal abdrücken lassen


    - Hat dieses Zeugs in der Kapsel noch die gleichen Eigenschaften wie vorher oder ist das evtl. "eingeschränkt" oder dergleichen

    - deine Zweifel bezgl. der kompletten Argonfüllung hast du ja bereits selbst geäussert.

    Ein interessanter Versuch; ich bin gespannt, wie es ausgeht.

    PS: und wie ein Mitarbeiter bei Sinn mal auf die Frage antwortete, was denn passiert wenn man die blaue Kapsel nicht austauscht:

    "Nichts; die Uhr läuft einfach weiter" :D

    Muchos saludos !

    Gerd

    a home without a dog is just a house

  • Ein interessanter Bericht!
    Ich mag das immer, wenn Leute etwas, aus dem Andere eine Philosophie machen, selbst angehen und mit etwas Nachdenken und einfachen Mitteln zum gleichen Ergebnis kommen. :)
    So in der Art hatte ich es mir vorgestellt, vorzugehen, wenn die Kapsel an meiner Sinn mal gesättigt sein wird.
    Meine Frage an dich:
    Woher hast du das AR und wie hast du es in die Uhr bekommen?
    Man sieht auf dem Foto einen dünnen Schlauch. Vermutlich war der auf einer Spritze, mit der du das Gas injiziert hast?

    Viele Grüße
    Matt

  • Hallo Mathias,
    die von Dir beschriebene Vorgangsweise habe ich auch bereits probiert.
    Argon-Gas in einer Art Spraydose habe ich bei Amazon bekommen - man benutzt es normalerweise, um nicht geleerte Rotweine in der Flasche vor Oxydation zu schützen.

    Das Ausheizen der Kapsel ist bei mir allerdings ordentlich schiefgegangen - bei ca. 100°C hat es das kleine Glas an der Vorderseite zerrissen, das Pulver war im Backrohr verteilt. Nun in ich recht vorsichtig geworden, weil Sinn bekanntlich diese Kapseln nicht als Ersatzteil verkauft.

  • Danke für den Bericht. Top1

    Eine kleine Anmerkung nur:

    Sinn verwendet schon seit Jahren kein Argon mehr, aus mehreren Gründen. Einer ist unter anderem der Kostengrund.
    Mittlerweile wird Stickstoff verwendet, ob es aber 100%iges ist oder ein Mischgas kann ich gerade nicht sagen.
    (Andere Uhrenhersteller verwenden zumindest ein Stickstoff Gas Gemisch für ihre Uhren).

    Mir wurde es mir mehrmals so erklärt im Hause.
    Man hat das AR Logo auf den Ziffernblätttern jedoch bewusst so gelassen, der Tradition wegen.

    Das nur zur Info.

    Lieben Gruß

  • Interessanter Bericht und schön zu sehen, dass die Welt manchmal garnicht so kompliziert ist.
    Das Werk läuft sicher auch ohne Gasfüllung, aber so ein Do-it-yourself-Versuch kann die Wasserdichtigkeit so beeinträchtigen, dass die Uhr komplett absäuft und die Folgeschäden ineinem krassen Missverhältnis zum ersparten Geld stehen. Und vielleicht hat es keine monetären Gründe, warum Sinn die Kapsel nicht separat verkauft.

    Mir persönlich wäre es das nicht wert.

    Kritisch sehe ich das beim Wiederverkauf. Wenn jetzt jemand diese Uhr kaufen sollte mit Revisionsbeleg wird er davon ausgehen, dass auch die Kapsel bei der Revi gewechselt wurde.
    Auch als Verkäufer habe ich mit einem Sinn-Service die Sicherheit, dass der nächste Benutzer der Uhr glücklich wird.

    JustMy2cent.

    Gruß

    AndiS

    Alles hat seine Zeit.

    Jetzt sind die guten alten Zeiten, nach denen wir uns in zehn Jahren zurücksehnen (Sir Peter Ustinov)

  • Danke für euer Interesse. Ich habe soeben mit einem Sinn Konzessionär telefoniert, bei sehr jungen Uhren handhabt er das mit den Kapseln oft auch so, bei ihm reicht dafür der Heizer. Er meinte aber auch, dass die Kapseln selbst oft mit 10 bis 12 Jahren undicht werden, die O Dichtung ist so gut wie nie ein Problem. Wird einfach nur Handfest angezogen, beim Uhrwerk geht man ja auch nicht mit einem Drehmoment an die Schrauben ran. Die Eigenschaften sind danach genau so wie bei einer neuen Kapsel. Sinn handhabt die Kapseln sehr streng, er bekommt normalerweise 3 bis 5 neue Kapseln "zum Start" und bekommt erst neue von Sinn, nachdem er die alten zurück geschickt hat.


    Noch ein Gedankengang, bei einer Uhr mit Schutzgasfüllung sollte das Schutzgas auch weitgehend in der Uhr bleiben, wenn man sie entsprechend mit AR Loch zum höchsten Punkt bei Öffnen positioniert und in der Position lässt, da sowohl Argon als auch Stickstoff deutlich schwerer als Luft sind. Wenn man sie also nicht "auskippt" sollte das meiste drin bleiben... evtl. ein Streifen Klebeband über Loch, um das Austreten durch Luftströme / Wind zu verringern. Ein Drucktest bei einer Uhr, mit der man ins Wasser geht, ist obligatorisch. Nutze ich meine Uhr nur im Trockenen nehme ich es da persönlich aber auch nicht all zu genau, gerade bei so einer "Not"lösung, die keine gesamte Revision ersetzen kann. Wer 100 % will muss halt zu Sinn gehen. Das Gas habe ich mit einer abenteuerlichen Schlauchkonstruktion eingeleitet, nix für immer, zum Testen in Ordnung.


    Dass Sinn die Kapseln nicht einzeln verkauft liegt meiner Meinung nach vor allem an monetären Gründen und daran, dass ein Privatier die Schutzgasfüllung wohl eben nicht perfekt hinbekommt. Sinn macht das in einer Art "Befüllungskammer". Aber man hat da ein Patent drauf und mit irgendwas zwischen 40 und 60 Euro für so eine Kapsel ist das Ding meiner Meinung nach auch gut bezahlt, dazu kommt ja noch die Füllung, das verwendete Gas dürfte in der eingebrachten Menge preislich kaum ins Gewicht fallen, die Arbeitszeit ist minimal.

    2 Mal editiert, zuletzt von Mathias089 (14. September 2024 um 13:33)

  • Danke Dir für den Tipp!

    Ich bin da, wie Andi, gespaltener Meinung.

    Nachhaltig und günstig für alte Uhren, Ja.

    Reparatur nach Sinn Standard, Nein

    AR überhaupt notwendig, kann man trefflich drüber diskutieren.
    Angeblich ist das Werk auf die andere Gasform im Innenraum einreguliert, ob das stimmt kann ich nicht beurteilen.

    Insgesamt wird das meiste Gas über die Jahre heraus diffundieren, so wie Luftfeuchte hinein.


    Solange ein Verkäufer bei seinen Angeboten darauf hinweist, wie die Erneuerung vorgenommen wurde, Fein.

    Dann kann der Kunde mit den Füßen abstimmen und sich dafür oder dagegen entscheiden.

    Für meine private Uhr, ein toller Tip, der Kosten sparen helfen kann. Insofern herzlichen Dank für diesen Beitrag.

    Ich habe bisher nur zweimal eine Kapsel erneuert bekommen, dies war bei meinem 1.1er & der U2 S beim Glastausch und das ging beides auf Kulanz.

    Ganz lieben Gruß

    Ru_Di

    Expect no quarter, expect no mercy, expect total hell


  • Ich war mal in der Uhrenwerkstatt eines anderen Uhrenherstellers und habe mich laaaaaaaange mit dem Chef Uhrmacher von diesem Hersteller unterhalten.
    Er hat mir erklärt, dass bei Uhren mit Gasfüllung tatsächlich das Werk anders einreguliert werden muss. Da diese das System selber nutzen, sprach er da aus seiner Erfahrung. Er hat mir sogar mehr Details genannt, diese gehören hier aber nicht hin.

    Lieben Gruß

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