Hallo,
wusstet ihr, dass der Hippocampus, eine Seepferdchen-ähnliche Struktur innerhalb des menschlichen Gehirns, bewusst gelernte Gedächtnisinhalte vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis überführt und dass diese Überführung überwiegend im Schlaf geschieht?
Ich wusste das bis vor Kurzem nicht.
Und ich habe keine Ahnung, warum mein Hippocampus die Sinn 103 Ti IFR nicht schon vor Jahren ins Langzeitgedächtnis überführt hat.
Gesehen hatte ich sie oft genug. Auf der Internetpräsenz von Sinn, im gedruckten Katalog und bestimmt auch in der einen oder anderen Fachzeitschrift, die ich bei Lancierung dieses Modells noch las, ebenso in den raren Beiträgen, die man im Internet-Kosmos finden kann.
Auch Schlaf hatte ich seitdem genug.
Was also war schief gelaufen, dass ich diese besondere Uhr bis vor wenigen Monaten so gar nicht auf dem Schirm hatte?
Vermutlich hatte mein visueller Kortex, also der Teil des Gehirns, der unter anderem für die Wahrnehmung und Verarbeitung optischer Reize zuständig ist, einfach nur dem Hippocampus mitgeteilt:
„Hey, die Bilder von dieser komischen Uhr brauchst du gar nicht erst im Langzeitgedächtnis festzutackern!“
Immerhin wurde ihr ohne Not die Anzeige der Stoppstunden genauso amputiert wie die Anzeige des Wochentags.
Auch könnte man sich durchaus fragen, warum denn dieser unförmige Zeiger für die Stoppminuten nicht wirklich zu den anderen Zeigern passt. Wurde er vielleicht nur deshalb verwendet, weil man sich beim Griff in die Schublade mit all den verschiedenen Zeigern im Fach geirrt hat?
Und überhaupt, was soll denn dieses alberne aufgedruckte Flugzeugsymbol mit der DIN-Angabe?
Dann noch diese Endglieder des Armbands, deren Form nicht so recht mit der Kontur der Anstoßhörner des Gehäuses korrelieren will.
Nein, diese Uhr muss man sich wirklich nicht merken.
Oder doch…?
Jedenfalls ergab es sich, dass ich vor einiger Zeit zufällig wieder auf die 103 Ti IFR aufmerksam wurde.
Irgendwie war ich plötzlich getriggert von der Machart dieses sehr speziellen Weckers.
Ich kann nicht einmal beschreiben, warum. Vielleicht nicht trotz sondern grade wegen der oben aufgeführten „Ungereimtheiten“ und der Asymmetrie auf dem Zifferblatt!?
So begann ich, mich selbst davon überzeugen zu wollen, dass ich genau diese Uhr brauche.
Und mir fielen genügend gute „Argumente“ ein, die meine aufkeimende Kaufabsicht zu untermauern imstande waren:
- Ich hatte grade zwei Uhren meiner Sammlung verkauft. Da könnte man doch eine neue anschaffen.
- Die meisten meiner anderen Chronographen, die ich im Alltag trage, sind grenzwertig groß, schwer und aus Edelstahl. Da käme eine kleinere, leichtere Uhr aus Titan doch sehr gelegen.
- Auf den Zifferblättern der meisten meiner anderen Chronographen ist ziemlich viel los. Da wäre eine Uhr mit reduzierter optischer Auffälligkeit und einem „ruhigeren“ Zifferblatt doch ein gutes Gegengewicht.
Nun, ihr ahnt es sicher schon, es dauerte nicht lange und ich hatte mich selbst überzeugt, dass ich diese Uhr „brauche“.
So begab ich mich auf die Suche nach einem passenden Angebot.
Spätestens jetzt wurde mir bewusst:
Du kannst diese Uhr ja nicht einfach so kaufen. Weder in irgend einem Ladengeschäft, noch irgendwo im Onlinehandel. Es gibt sie neu nicht mehr. Und gebraucht will sich anscheinend auch niemand von ihr trennen.
Trotzdem blieb ich dran, an der Suche, allerdings mit deutlich gedämpfter Erwartung, dass ich diese Uhr überhaupt bekommen würde.
Die UTC-Variante kam für mich übrigens nicht in Betracht, da ich diese Funktion nicht benötige. Und die beiden TESTAF-Varianten kamen nicht infrage, weil ich deren Zeigerform nicht mag. So blieb tatsächlich nur die 103 Ti IFR für meine Suche übrig.
Es vergingen etliche Wochen, da fiel mir eher zufällig die Online-Offerte eines Händlers ins Auge. Wenige Tage später klingelte der Paketbote an meiner Tür.
Kennt ihr diese gespannte Erwartung dessen, was einem da gleich begegnen wird, wenn man den Deckel der Box öffnet oder wenn im Ladengeschäft die freundliche Mitarbeiterin das gewünschte Modell aus dem Lager holt und einem auf das mit Samt ausgeschlagene Präsentationatablett legt?
Klar kennt ihr das. Also werdet ihr auch nachvollziehen können, was in mir vorging als ich begann, den Inhalt aus dem Paket herauszuarbeiten.
Sie strahlte mich an, mit ihrem klar gezeichneten Zifferblatt, den unaufgeregten Zeigern – na ja, mit Ausnahme des oben erwähnten Stoppminutenzeigers - und den schnörkellosen Zahlen.
„Ja“, dachte ich, „genau so hatte ich mir dich vorgestellt und jetzt, wo du hier vor mir liegst, gefällst du mir noch besser als auf den Bildern, die ich von dir gesehen hatte.“
Ich nahm sie aus der Box, begutachtete sie von allen Seiten und ahnte:
Wir werden zusammenbleiben.
Der erste Eindruck ist das Eine. Etwas Anders ist der Eindruck, den man gewinnt, wenn man die Uhr eine gewisse Zeitlang trägt und sich dabei Eigenschaften herausstellen, die sich eben erst auf den zweiten Blick offenbaren.
Ich habe die 103 Ti IFR nun einige Zeit täglich getragen. Im Büro, zu Hause, unterwegs, überall war sie meine Begleiterin und fast überall und zu fast jedem Anlass kann man sich mit ihr sehen lassen.
Einerseits ist sie dank ihres nüchternen Erscheinungsbildes und vor allem dank ihres moderaten Gehäusedurchmessers, zumindest für einen Chronographen, relativ unauffällig. Andererseits hebt sie sich doch deutlich von dem ab, was 99 Prozent meiner Mitmenschen quarzgesteuert, langweilig mainstreamig oder peinlich opulent an aus Blech gepressten oder durch Extruder in Form gespritzten Armbändern am Handgelenk tragen.
Wenn also jemand in meinem Umfeld überhaupt irgend etwas für Uhren übrig hat, oder gar etwas davon versteht, dann wird die 103 ihm auffallen, ganz egal, ob in der Version Ti IFR oder in irgend einer der vielen anderen Varianten. Nicht zuletzt auch deshalb, weil diese Gehäuse- und Armbandform ja die Gene sind, die man, selbst aus mehreren Metern Entfernung betrachtet, eindeutig dem Unternehmen Sinn zuordnen kann.
Was mich am meisten an ihr überrascht und zwar überaus positiv, ist diese unerwartet leichte, komfortable Tragegefühl. Wie geht das, bei einer Uhr mit über 17 mm Bauhöhe, von der ich zudem vermutet hatte, dass sie sehr kopflastig sein würde?
Erstens durch nur 118 Gramm Gewicht, gepaart mit überhaupt nicht vorhandener Kopflastigkeit.
Unglaublich, wie spürbar die Gewichtsersparnis durch Reintitan gegenüber Edelstahl ist. Kein anderer meiner Chronographen mit Metallarmband, einschließlich eines weiteren aus Titan, kommt auch nur annähernd an dieses geringe Gewicht heran.
Allerdings hat das auch eine Kehrseite:
Das Armband fühlt sich klapprig an. Ja, ich würde sogar behaupten es ist klapprig.
Das liegt aber nicht an mangelnder Verarbeitungsqualität oder zu großzügig gewählten Toleranzen, sondern das ist einzig dem Material geschuldet.
Titan fühlt sich immer klapprig an, auch wenn es, wie bei diesem Armband, massiv ausgeführt und ordentlich verarbeitet ist.
Diese haptische Einschränkung nehme ich aber gerne hin, wenn sie mir dieses luftig-leichte Tragegefühl beschert.
Zweitens durch eine Gehäuseform, die dieses Pummelchen geschickt kaschiert.
Sinn hat die Seitenansichten das Gehäuses so gestaltet, dass man rein optisch die enorme Bauhöhe gar nicht vermuten würde. Einerseits durch die ringförmige Ausdrehung an der Unterseite, andererseits durch die ballige Oberseite der Lünette, die nahtlos in das bombierte Glas übergeht.
Wenn ich die Sinn neben einen meiner anderen Chronographen halte, ist sie über zwei Millimeter höher. Trotzdem wirkt es optisch so, als sei die 103 die flachere Uhr.
Ich habe sie allerdings noch nicht unter einer Hemdmanschette getragen. Ich werde das auch nicht tun, denn Hemden trage ich nur zu sehr feinen Anlässen. Und dafür habe ich stilistisch passendere Uhren als die Neue. Aber wenn man sie unter einem Hemd tragen wollte, dann würde die enorme Bauhöhe vermutlich doch stören.
Drittens durch den geringen Abstand von Horn zu Horn.
Das ist zwar nur eine Vermutung, aber es ist auffällig, dass das 103er Gehäuse hier ein teilweise deutlich geringeres Maß aufweist, als alle anderen meiner Chronographen, einschließlich eines Modells mit identischem Gehäusedurchmesser.
Was auch immer nun der Grund für dieses super angenehme Tragegefühl ist, ich bin ziemlich begeistert davon und merke jetzt schon, dass sich die Sinn zu meiner überwiegend getragenen Alltagsuhr entwickeln wird.
Die 103 hat aber noch mehr Überraschungen für mich parat.
Wobei der Begriff „Überraschung“ eigentlich nicht zutrifft.
Die Lünette rastet ordentlich, lässt sich allerdings nicht besonders gut drehen. Das liegt nicht daran, dass die Rastung zu schwergängig wäre sondern daran, dass wegen der gewölbten Oberseite nur wenig Rand für die Riffelung übrig bleibt. Und diese Riffelung ist zudem nicht besonders griffig gestaltet.
Das ist hinsichtlich der Bedienung aber die einzige kleine Schwachstelle.
Die Krone ist griffig gerändelt und die Drücker lassen sich gut und mit dem für das Kaliber 7750 typisch hohen Kraftaufwand bedienen.
Das Ablesen aller relevanten Informationen, die die Uhr bietet, ist unter allen Umständen tadellos möglich. Die kräftige Leuchtmasse auf diversen Elementen sorgt selbst am Ende einer Nacht noch für eine brauchbare Ablesbarkeit im Dunkeln.
Ebenfalls keine Überraschung ist die Qualität der Bedruckung bzw. der Farbauftrag auf der Lünette sowie den Zeigern. Sinn kann (oder will) hier nicht ganz vorne mitspielen.
Beim kritischen Blick ohne Hilfsmittel unter gut ausgeleuchteten Bedingungen, vor allem aber beim Blick durch eine Lupe offenbart sich auch bei meiner 103 , was ich schon von anderen Sinn-Modellen kenne:
Die Leuchtmasse auf dem Stoppsekundenzeiger ist nicht ganz gleichmäßig aufgetragen.
Der Übergang von der Farbe zur Leuchtmasse auf einem Zeiger ist nicht besonders harmonisch gelungen sondern bildet einen Wulst.
Eine Ziffer auf der Lünette hat einen kleinen Farbklecks, der dort nicht hingehört.
„Meine Güte, wer schaltet denn schon helles Licht an oder nimmt gar eine Lupe, wenn er seine Uhr anschaut?“ könnte man jetzt einwenden.
Ich!
Natürlich nicht bei jedem Blick auf die Uhr aber auf jeden Fall bei der ersten Begutachtung.
Ich finde das legitim, nicht erst in diesem Preissegment.
Und ich mache dabei auch keinen Unterschied, ob es sich um eine Werkzeuguhr oder eine Kleidungsuhr (da sieht man mal, wie bescheuert die Begriffe „Toolwatch“ und „Dresswatch“ sind) handelt. Warum auch sollten in dieser Hinsicht an einen Chronographen mit instrumentellem Charakter geringere Ansprüche gestellt werden als an einen mit elegantem?
Es gibt jedenfalls Hersteller, die das besser hinbekommen, auch bei Uhren die weniger kosten.
Aber irgendwas ist ja immer und Perfektion ist doch irgendwie langweilig – nicht nur bei einer Uhr.
Und mit dieser Grundhaltung passt meine Sinn 103 Ti IFR denn auch perfekt zu ihrem Besitzer, der ebenfalls einige Schwachstellen hat und sich darüber freut, einen ganz selten anzutreffenden Chronographen bekommen zu haben.
Viele Grüße
Matt
