Bonjour mes amis,
vielleicht habt Ihr Spaß daran, wenn ich Euch ein wenig auf meinen Kurztrip in die Uhrenstadt La Chaux-de-Fonds (LCdF) mitnehme.
Wie ihr wisst, bin ich noch bei Fifthwrist.com tätig und so hatten wir ein kleines, feines Gettogether mit vier Fifthwrist-Kolleg:innen.
Da ich das organisiert hatte, habe ich auch ein kleines Geschenk vorbereitet, einen Turnbeutel mit unsrem Logo … und (freundlicherweise kostenlos von Sinn zur Verfügung gestellt) einem Sinn Kugelschreiber darin. Vielleicht treffen wir uns ja das nächste mal in FFM und machen dann ein »Fifthwrist X Sinn Uhren- und Technik-Forum«J
Die Stadt
Ja, in LCdF wird vornehmlich Französisch gesprochen. Viele – aber nicht alle – sprechen auch Deutsch, mit Englisch beispielsweise kommt man nur sehr bedingt weiter. Sehr seltsam.
Aber tatsächlich ist LCdF keine wirkliche Touristenstadt, obwohl sie das m. E. verdient hätte.
Bekannt und Weltkulturerbe (gemeinsam mit dem einen Steinwurf entfernten Le Locle) ist LCdF für seinen Städtebau. 1794 brannte fast die ganze Stadt nieder und beim Wiederaufbau entschied man sich für einen sehr geradlinigen Grundriss und breite Straßen. Dies hat drei Gründe: Platz für die Feuerbekämpfung, einfache Logistik zwischen den vielen vernetzen Zulieferern und hauptsächlich viel Licht in den Fenstern der Ateliers.
Die Stadt wurde also für die Uhrenherstellung gebaut!
Auch ist LCdF ein Zentrum des Jugendstils, dem man, wenn man offene Augen hat überall begegnet.
Aber auch für den berühmten Architekten und (Möbel-)Designer Le Corbusier (den Selle kennt jeder …) ist die Stadt bekannt. Dieser ist hier geboren und hat hier auch angefangen zu wirken.
Ich hatte das Glück durch Vermittlung von der Chefin von ochs und junior eine Privatführung durch eines seiner Häuser (das Maison Blanche; das andere bekannte gehört der Firma Ebel) zu bekommen J
Und noch mehr Architektur/Städtebau: Der Architekt des (auch für die Architektur) preisgekrönten Uhrenmuseums hat auch andere (Beton-) Bauten in der Stadt errichtet.
Gefällt nicht jedem, viel Beton und auf den ersten Blick seeehr schlicht, aber ich weiß von einer Bewohnerin, dass es sich sehr schön darin lebt!
Aber nun zu den Uhren:
Einige bekannte Unternehmen sitzen hier, wenn man in die Stadt fährt kommt man glich am Anfang am zweckmäßigen Gebäude von Concepto vorbei.
Aber auch z. B. die hier sieht man:
Den Neubau von Cartier und die Glasbrücke von Sellita hatte ich auch auf meiner Foto-Liste – aber ich war nur von Freitag mittag bis Sonntag früh dort und man kann nicht alles machen …
Das tolle sind aber nicht – auch wenn man ehrlich gesagt davon nicht wirklich etwas mitbekommt – die vielen kleinen Unternehmen, alle Nase lang (gefühlt) kann man ein Firmenschild entdecken, das irgendwas mit Uhren zu tun hat.
Ich will aber nicht verhehlen, dass die Zeit an LCdF nicht spurlos vorüber gegangen ist. Die Quarzkrise und der Wegzug einer großen Firmen hat seine Spuren hinterlassen.
Auf den Straßen sieht man einerseits mehr AMGs als am Opernplatz in Frankfurt, andererseits auch wirklich viele Menschen, die offensichtlich nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Als wir dort waren, war auch gerade ein Straßenfest zugunsten der Benachteiligten der Stadt – das haben wir gerne durch den Kauf von drei Absinth unterstützt!
Inneneinrichtungsgeschäfte stelle ich mir anders vor …
Und es gibt natürlich auch hier 60er Jahre (?) Hochhäuser
Aber: auch neue, schöne Mehrfamilien-Wohnhäuser werden gerade errichtet, es schein weiter Bedarf zu geben
Tatsächlich haben wir wenige bis gar keine (haben aber keine aufwändigen Nachforschungen betrieben) etwas schickeren Bars/Cafes/Restaurants gesehen. Alles recht einfach (aber sehr freundlich und qualitativ sehr gut).
Wenn Ihr vorhabt da mal hinzugehen, nehmt warme Kleidung mit, auf ca. 1000m gelegen ist LCdF eine der höchstgelegenen Städte Europas!
Und einen Grund im November hinzufahren gibt's auch: am Samstag, den 6.11. findet der »Tag der offenen Ateliers« statt und am Tag darauf eine Uhrenbörse:
Das Museum
Ziel Nummer 1 in LCdF ist natürlich das Uhrenmuseum, das „EmIAsch“ (MIH auf Französisch).
Im Web erfährt man vergleichsweise wenig darüber, völlig unverständlich.
Es gilt als bedeutendstes Uhrenmuseum der Welt und ist wirklich ein Hammer.
Erst mal kann man – bevor man überhaupt drin ist – Uhren von den Firmen begucken, die das MIH unterstützen. Drinnen dann sind 100e Exponate nach verschiedenen Kriterien logisch und übersichtlich geordnet. Auch einen Einblick in die Werkstatt der zwei Restauratoren bekommt man.
Zu sehen (das muss ich natürlich erwähnen) ist auch die sog. Türler-Uhr, eine der komplexesten der Welt und der Nachbau des Mechanismus von Antikythera – beides von Ludwig Oechslin.
Wir hatten eine Führung für 90 Minuten gebucht und haben vieles gesehen, was wir sonst vielleicht übersehen hätten.
Ohne Übertreibung: man kann hier (es gibt kein Cafe, da müsste man vorsorgen) locker einen (verregneten) ganzen Tag verbringen.
Außerdem sind auf dem Gelände (mit einem kleinen Park) noch zwei weitere Museen, darunter das Kunstmuseum mit immerhin einem Modigliani und einem Picasso.
Aus Platz- und aus Sicherheits-Gründen (seht ihr die Durchfahrsperren auf dem obigen Foto von GP?) ist das gesamte Uhrenmuseum übrigens unterirdisch.
ochs und junior
Nach der Museumsführung waren wir bei ochs und junior eingeladen.
ouj sitzt im unteren Stock (das Haus ist am Hang) eine der typischen und im Stadtführer erwähnten Jugendstilvillen.
(Früher mal das Haus des Firmenbesitzers der Firma nebenan. So war das früher in LCdF: da die Uhrenindustrie nicht wie z. B. Stahl dreckig ist, wohnten die Besitzer in der selben Gegend wie die Arbeiter, eine Segregation fand nicht statt.)
Während die Firma selbst letztlich nur (Erweiterungen sind mittelfristig in Planung) in zwei Räumen: das Atelier (Uhrmacher-Arbeitstische für Jost, den Uhrmacher und Masaki, den Meister-Uhrmacher, der die Konstruktionen überarbeitet und neue von Ludwig umsetzt) und ein kombinierter Showroom/Büro/Meetingraum/Kreativzentrum.
Daher tragen wir uns erst mal »oben« und wurden zum Essen eingeladen. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen (sic!) aber ich denke wir waren dort zwei Stunden und haben über Uhren, die Vergangenheit und Zukunft von ouj, über Design und Technik, über Gott und die Welt gesprochen.
»Amtssprache« war Englisch, aber zeitweise wurde durcheinander Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Schwitzerdütsch gesprochen J
Dann ging es nach unten.
Die Corona-Zeit hat – das war auch einer der vielen Gründe für den Umzug von Luzern nach LCdF) genutzt, um mit Hilfe von Masaki und einem externen Dienstleiter (auch aus LCdF) die Modulkonstruktionen upzudaten. Ziel war eine weitere Erhöhung der Zuverlässigkeit und die Vorbereitung einer Serienproduktion.
Ein kleines Detail sieht man hier (das Zifferblatt ist ja oft Teil der Werkskonstruktion): während früher, sollte das Zifferblatt patiniert werden, das ganze Bauteil patiniert hat, wird nun die (funktionale) Rückseite abgeklebt, um noch weniger Toleranzen zu bekommen.
Künftig sollen einige Modelle als Serienmodelle aufgelegt werden: schneller verfügbar und günstiger.
Eigentlich liegt das auf der Hand: bei den ouj-Uhren liegt der Aufwand ja durch die Denkarbeit von Dr. Oechslin am Anfang, danach sind die Konstruktionen je eben besonders einfach und damit für Serienproduktion prädestiniert.
Allerdings wir ouj weiterhin eine Nischen-Firma bleiben!
Werden heute so ca. 100-150 Uhren p. a. gefertigt, sollen es künftig vielleicht 3-500 werden.
Also Serie, nicht Masse.
Man kann also (meine Worte, nicht die von ouj) die Uhrenlinien neben der Funktion künftig grob in drei Bereiche einteilen:
konfigurierbare Einzelstücke (alle Modelle)
limitierte Editionen (derzeit nur die Mondphase und die Wochentagsuhr settimana mit den sensationellen Farben
Serienprodukte (derzeit nur der ewige Kalender, andere Modelle sind in der Mache, da verrate ich noch nix)
Die erste »Serien-Uhr« ist die cca.
Ein ewiger Kalender in einem 40mm x 11mm (!) Gehäuse, ein ewiger, der mit gerade mal neun Bauteilen (zusätzlich zum Ulysse Nardin Kaliber) realisiert wird und vor- wie rückwärts eingestellt werden kann.
Ein supercooles Teil am Arm.
Besser noch gefällt mir die Weiße (das Foto zeigt einen Prototypen, das richtige Modell hat schwarze Zeiger).
Diese Zifferblätter sind PVD-beschichtet (auch wieder von einer Firma aus LCdF), davon habe ich biser noch nichts gehört. Vorher wird das Blatt sandgestrahlt, dadurch ergibt sich (beim schwarzen besser zu sehen, aber real sieht es bei beiden und insbesondere beim weißen viel besser aus) eine leicht raue Oberfläche. Hell und klar ohne Reflexionen.
Ein weiteres Thema kann ich nur kurz zeigen aber nicht erklären, das geht hier überhaupt nicht: ouj hat für jede Uhr ein Modell bauen lassen (Ihr erratet, wo die Firma sitzt, das das gemacht hat), anhand dessen man die Funktion zeigen kann. Ein Riesenspaß!
Es hat überhaupt einen Riesenspaß gemacht mit all den Menschen dort zu reden und auch Einblicke in Entwicklung, Design, Moodboards, Abwägungen, Strukturierungen, Entscheidungen, … zu bekommen. Auch in die nicht so schönen, wie Lieferschwierigkeiten mit Subs (Dirk kann ein Lied davon singen).
Übrigens ist das mittelfristige Ziel, auch die Fertigung der Module mittels einer eigenen CNC-Maschine (das ist ja einerseits eine ganz eigene Fertigkeit, anderseits hat Dr. Oechslin zuhause (sozusagen im R&D-Zentrum) auch mehrere und macht dort alle Prototypen selbst) selbst vor Ort zu machen.
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass dieses Ziel sehr realistisch ist.
Ach ja, ein Zulieferer war ja auch vor Ort Sabina Brägger (einfach googeln, dann kommt man auf ihren Shop; nein, sie ist NICHT aus LCdF) macht die Stör- und die (nicht alle) Textil/Cordura-Bänder für ouj. Sie hat gleich ein Armbändchen vor Ort verkauft und von mir den Auftrag für ein neues Band (Vorstellung folgt) bekommen.
Wer zoomt kann auch den einen oder anderen Zukunftsplan entdecken.
Uhren
Und zum Abschluss: abends haben wir noch zusammengesessen und ein bisschen Uhren geguckt. Der Kollege aus Frankreich war etwas enttäuscht, dass ich meine Sinn nicht dabei hatte, aber ich wollte nur zwei mitnehmen …
Die Dodane ist übrigens ein Flyback und hat die Service-Termine bei der französischen Luftwaffe eingraviert!
Die Einzeiger ist eine russische Colibrica und verarbeitet »wie eine Patek« (mindestens, sie ist der OBERhammer!)
So, das war wohl mein längster Post … vielleicht sehen wir uns ja im November …
vielen lieben Dank für Deine Mühe